Hier kommt Hoeneß!
begleitete den frisch aus den USA eingeflogenen Trainer auf das Podium, so als wollten sie sagen: Seht her, da ist er. Und es war unsere Idee. »Als wir erahnen konnten, welche Dimension die Berichterstattung annehmen würde, beschlossen wir, die Pressekonferenz mit der Vorstellung des neuen Trainers nicht an der Säbener Straße, sondern in einem Konferenzsaal des ›Hotels Arabella Sheraton‹ abzuhalten«, sagte Hörwick. Denn für diese Nachricht war selbst das Vereinsgelände zu klein.
Die ARD brachte am Abend sogar eine Sondersendung. Die Bayern hatten Ja gesagt – zu Klinsmann, zum größtmöglichen Risiko. Eigentlich war es Rummenigges Idee gewesen, der den Namen kurz nach Weihnachten erstmals in den Mund genommen hatte. »Könnt ihr euch vorstellen, dass wir uns mit dem Jürgen beschäftigen?«, fragte er damals die Vorstandskollegen Uli Hoeneß und Karl Hopfner. Rummenigge war begeistert von seiner verrückten Idee, Bauchmensch Hoeneß total überrascht und daher eher skeptisch. Doch er ließ es geschehen, dass Rummenigge Kontakt aufnahm mit Klinsmann in den USA. In einem »Spiegel«-Interview erzählte er: »Noch an dem Nachmittag haben wir ihn in Kalifornien angerufen, das ging ja, weil er immer um sechs Uhr aufsteht. Erst war eine lange Pause am anderen Ende, dann sagte er: ›Ja, hm, das freut mich aber sehr; ich denke nach und sage euch morgen Bescheid.‹« Tat er dann auch, und es kam ein Yes aus Kalifornien.
Die Bayern hatten nach dem Motto »Do the unexpected« gehandelt. Mehr und mehr wurde auch für Hoeneß aus der absurden Idee nicht nur ein waghalsiger Plan, sondern eine Chance. Wenngleich er gegenüber der Öffentlichkeit mahnende Statements von sich gab wie: »Die Schuhe von Ottmar sind groß, und wenn man jemanden in diese Schuhe steckt, muss man sich das reiflich überlegen.« Wieder einmal begeisterte sich der Vorstand an sich selbst, nach einer Präsentation seines Konzeptes durch den Kandidaten waren »alle Feuer und Flamme«, so Rummenigge. Sie steckten Klinsmann in die Hitzfeld-Schuhe. Das war in etwa so, als würde man einem Kind die Möglichkeit geben, erste Schritte in den Schuhen eines der Klitschko-Brüder zu machen. Mutig, ja, das war es. Feuer und Flamme – am Ende sollten sich alle daran verbrannt und Hoeneß eine schwere persönliche Niederlage erlitten haben.
Auch die Medien hatten erhöhte Temperatur, waren in den ersten Wochen nach seinem Amtsantritt am 30. Juni 2008 angesteckt vom Klinsmann-Fieber. »Die Revolution beginnt«, titelte das sonst eher nüchterne Fachmagazin »Kicker« nach dem Trainingsauftakt. Bei der Münchner »Abendzeitung« galt Klinsmann im neuen Dress als der »Rote Revoluzzer«, bei der »Welt« als »Heilsbringer«. So, als wäre nie etwas geschehen. Als hätte es die Zeit des Spielers Klinsmann inklusive aller Widrigkeiten nie gegeben. War da etwas gewesen? Sicher, man kann verzeihen, sollte vielleicht auch manches vergessen. Aber alles Geschehene komplett ignorieren? Die Vergangenheit mit einem Tritt in die Tonne befördern? Und genau das tat Hoeneß.
Eine kurze Rückschau: Von 1995 bis 1997 stürmte Klinsmann für den FC Bayern. Was von dieser Zeit hängen blieb, war einerseits der spektakuläre Wuttritt in eine Werbetonne auf der Tartanbahn des Olympiastadions, als er am 10. Mai 1997 beim 0 : 0 gegen den SC Freiburg von Trainer Giovanni Trapattoni vorzeitig ausgewechselt wurde, und andererseits der Uefa-Cup-Sieg ein Jahr zuvor mit Klinsmann, dem europäischen Rekordtorschützen mit 15 Treffern in zwölf Europapokal-Spielen. Überhaupt, diese beiden Jahre waren sportlich gesehen erfolgreich: Uefa-Cup und Meisterschaft gewonnen, im ersten Jahr erzielte er 16 Bundesligatore, im zweiten 15. »Feierabend hier!«, hatte Klinsmann beim Tonnentritt gebrüllt – war es auch kurz danach. Vor allem der Dauerzwist mit Teamkollege Lothar Matthäus hat Klinsmann vertrieben. Er wechselte mal wieder den Verein, diesmal ging er nach Italien zurück, zum mittelklassigen Erstligisten Sampdoria Genua. Damals sagte Klinsmann entschlossen, wie es sonst nur Eheleute vor dem Scheidungsanwalt tun: »Der FC Bayern und ich passen einfach nicht zusammen.« Jahre später sollte er allerdings über die erste Trennung sinnieren: »Wäre ich geblieben, hätte das zu einer richtig festen Verbindung führen können.«
Für Hoeneß undenkbar. Im August 2005 charakterisierte er den damaligen Bundestrainer Klinsmann in einem »Zeit«-Interview so: »Jürgen war schon immer
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