Hier kommt Hoeneß!
ein sehr guter Schauspieler und ein guter Verkäufer seiner Person. Und er hat ein sehr gutes Gespür dafür, was in der heutigen Zeit in der Öffentlichkeit ankommt und was nicht.« Zwei Monate später schimpfte der Bayern-Manager: »Er ist ein Egoist. Das hat man gesehen, als er ausgewechselt wurde – wie er da die Nerven verloren hat. Heute rasiert er jeden weg, der eine eigene Meinung hat. Seine Arbeit wird überbewertet.« Dass Klinsmann während der knapp zwei Jahre vor Beginn des WM-Turniers zwischen seinem Wohnsitz und Deutschland hin- und herpendelte, nahm ihm Hoeneß öffentlich übel: »Er verlangt von seinen Spielern totale Aufopferung, aber dann muss er selbst auch dazu bereit sein.« Vor laufender TV-Kamera polterte er ins Mikrofon: »Der soll hierherkommen und nicht ständig in Kalifornien rumtanzen und uns hier den Scheiß machen lassen.« Und schließlich, Hoeneß als Prophet: »Er hat ja nur einen Vertrag bis 2006. Wenn es gut geht, ist er der Held – und wenn es schlecht geht, geht er wieder nach Kalifornien.« Ganz schief ging es nicht, aber Klinsmann kehrte nach Hause zurück. Hoeneß’ Meinung aber hatte im Zeichen des Sommermärchens einen Wandel durchlebt, plötzlich hörte man ihn über Klinsmann sagen: »Ich habe gegen den Menschen Klinsmann überhaupt nichts.«
Und das, obwohl er schon bei seinem ersten Engagement in München deutliche Spuren hinterlassen hatte, alte Traditionen über den Haufen geworfen hatte. Stammhotel, Fans beim Training – alles stand bei Klinsmann auf dem Prüfstand. Und irgendwie bewunderte Hoeneß den Blonden auch, weil dieser etwas hatte, worin er sich selbst wiedererkannte: In manchen Punkten sah er in Klinsmann den geschäftstüchtigen Uli, der er selbst war und ist. Auch wenn ihm einige der Veränderungen nicht behagten.
Die Distanz war Klinsmann einfach zu groß – exakt 57 Kilometer von der Seestraße 47 in Rottach-Egern bis zum Olympiastadion. Eine knappe Stunde war der Mannschaftsbus der Bayern früher stets vor den Heimspielen aus dem Quartier »Hotel Bachmair« am Tegernsee unterwegs. Kartenspiele sorgten im handyfreien Zeitalter während der Fahrt für Abwechslung. Einer aber langweilte sich im Bus. Ein Einzelgänger: Jürgen Klinsmann. Also protestierte er. Und prompt rückten die Bayern 1995 von ihrer langjährigen Tradition ab und siedelten in das »Hotel Limmerhof« in Taufkirchen bei München um. Zu lange dauere die Fahrt, moserte Klinsmann. Geist und Körper würden einschlafen. Und er setzte sich durch. Für den FC Bayern war dies damals eine kleine Revolution. Aber Hoeneß ließ den Spieler, den er aus England von Tottenham Hotspur verpflichtet hatte, gewähren. Der Transfer war schließlich ein Coup, ein Exweltmeister mehr im Kader – da kann man schon mal das Hotel wechseln. Wenn es nur das gewesen wäre!
Doch Klinsmann wollte mehr. Damals schon schwärmte der Vereinebummler von seinen Erfahrungen mit der Trainingsarbeit in Mailand, Monaco und London bei Tottenham. Er berichtete von Stille und Ruhe– weil unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert wurde. Klinsmann protestierte wiederum. Prompt führten die Bayern das fanfreie geheime Abschlusstraining an Tagen vor Spielen ein. Das war nun aber keine kleine Revolution mehr. Doch mit dem damaligen Trainer Giovanni Trapattoni hatte er jemanden, bei dem sein Gesuch auf offene Ohren stieß. Der Maestro aus Italien war es aus seiner Heimat schließlich gewöhnt, stundenlanges Taktiktraining hinter verschlossenen Türen durchzuführen. Warum also nicht auch in München? Das geschlossene Abschlusstraining am Tag vor dem Spiel wurde eingeführt, manch andere Einheiten wurden ebenso im Verborgenen abgehalten. Spätere Trainer wie Ottmar Hitzfeld und Felix Magath bedienten sich dieser Option, sie waren aber nicht die verantwortlichen Buhmänner. Klinsmann und Trapattoni hatten die zeitweilige Fanaussperrung eingeführt, und Hoeneß musste dies nach außen vermitteln, der Öffentlichkeit verkaufen. Natürlich erinnerte er dabei an die Vorbilder in Italien, England und Spanien sowie daran, dass man als Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz unbeobachtet konzentrierter zu Werke gehen könne. Hoeneß biss sich dabei wohl auf die Zunge, weil er wusste: Die Fans sind die Basis, das Kapital. Sie kommen teils aus großer Entfernung zum Training und möchten hautnah dabei sein. Nur dann läuft auch der Fanartikelverkauf an der Säbener Straße gut. Außerdem wollte Hoeneß immer, dass »der FC Bayern ein
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