Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
eigentlich?
Ich sehe genauer hin. Er scheint mit dem Fuß irgendetwas zu bearbeiten, das sich in den Ritzen zwischen den Terrassenfliesen befindet. Unkraut, vermute ich mal.
Ach, es ist wirklich an der Zeit, den alten Herrn mit einer kleinen, freundlichen Geste in die gute Stimmung einzubeziehen! Kurz entschlossen gehe ich zu ihm hinüber und stelle mich neben ihn. Dann sehe ich interessiert nach unten auf die Fliesenritze.
I-gitt!
»Mistviecher«, murmelt Niklas’ Vater.
Zu seinen Füßen liegt eine stattliche Zahl zerquetschter Ameisen. Ein paar zappeln noch.
Weitere Artgenossen krabbeln arglos aus der Ritze empor.
»So«, sagt Nienaber senior zufrieden und tritt zwei von ihnen platt.
Die armen Tiere!
Gibt es denn keine … humane Methode, sie loszuwerden?
Niklas’ Vater blickt mich an.
»Nicht so zimperlich«, sagt er.
»Wie bitte?«
»Nur zu.« Er zeigt auf die Ameisen, von denen mindestens noch zehn leichtsinnig ans Tageslicht gekrochen sind.
Er meint doch nicht etwa, ich würde auch welche tottreten?
»Sollte man nicht lieber so eine Art … Insektenvernichtungsmittel nehmen?«, frage ich vorsichtig.
»Hm.« Niklas’ Vater zuckt mit den Schultern.
Dann wendet er sich wieder den Ameisen zu.
O Gott, Niklas’ Vater ist aber auch wirklich schwierig.
Hilflos drehe ich mich nach Niklas um.
Er unterhält sich mit seiner Mutter und seiner Schwester. Offenbar über einen hohen Zaun, der auf jeden Fall hermüsse. Niklas fängt prompt meinen Blick auf und eilt herbei.
Er schaut kurz auf den grausamen Zeitvertreib seines Vaters, dann fasst er mich am Arm und zieht mich Richtung Terrassentür.
»Er macht das gerne«, sagt Niklas leise.
Aber das ist ja gerade das Scheußliche.
Ich atme tief durch.
Wie soll ich mich denn jetzt verhalten?
Ich will doch nicht, dass alles wieder so unangenehm wird.
»Er wird sich nicht mehr ändern«, sagt Niklas sachlich.
Verrückterweise beruhigt mich dieser Gedanke irgendwie. Wenn Niklas’ Vater sich sowieso nicht mehr ändert – was macht es dann für einen Sinn, mit ihm über die fragwürdigen Aspekte von Tierquälerei zu reden?
»Komm, Iris. Ich möchte dir die Küche zeigen«, sagt Niklas eifrig und geht schon mal voran, durch die Terrassentür nach drinnen.
Sollte ich mir tatsächlich einfach keine weiteren Gedanken über seinen Vater machen? Ratlos verharre ich für ein paar Momente.
Ich seufze still. Wahrscheinlich ist es das Beste.
Fürs Erste, jedenfalls.
Ich folge Niklas durch Wohnzimmer und Flur, die mir inzwischen schon nicht mehr ganz so winzig vorkommen.
»Oh«, entfährt es mir, als wir die Küche betreten.
Okay, sie ist klein.
Aber hell. Und mit einer blitzweißen Einbauküche ausgestattet.
Was für ein Gegensatz zu den avocadogrünen Fliesen mit den vergilbten Prilblumen, den dunkelbraunen Schränken und den angerosteten Uraltgeräten in der Küche von Jörgs Mutter!
»Ich wusste, dass die Küche dir gefällt!«, ruft Niklas glücklich.
Ich gehe zu den nüchternen, aber herrlich neuen Schränken und öffne probeweise eine der Schubladen.
»Rollengelagert!«, ruft Niklas.
Ich sehe ihn lächelnd an. Es ist so rührend, wie er mir alles präsentiert, als sei das hier eine Luxusvilla.
»Guck mal. Die Kochfelder! Ceran!«, sagt er, zeigt auf den Herd und strahlt. »Da kannst du uns jeden Tag was Leckeres zaubern!«
Mein Lächeln wird starr.
Eigentlich möchte ich in Zukunft nicht mehr jeden Tag für einen Mann was Leckeres zaubern. Das hat sich irgendwie nicht bewährt.
»Oder du«, sage ich freundlich.
Niklas sieht mich verständnislos an.
»Oder du könntest uns an den Kochfeldern was Leckeres zaubern«, sage ich ernsthaft.
Niklas wirkt für einen Sekundenbruchteil überrascht.
»Klar«, ruft er dann. »Das werde ich wohl hinkriegen!« Er lacht. »Du bringst mir doch bestimmt bei, wie man das macht!«
Was?
Niklas kann nicht kochen?
Das glaube ich nicht!
»Ach, Niklas.« So schnell gebe ich nicht auf. »Du bist sicher selber ein guter Koch. Du warst doch extra beim Hausfrauenbund, um so was Spezielles wie das Niedergaren zu lernen!«
Niklas schluckt.
»Ähm«, sagt er dann und lächelt ein wenig verlegen. »Eigentlich war ich nicht da, um das Niedergaren zu lernen.«
Das verstehe ich nicht.
»Warst du nicht?«
Warum sollte ein Mann es auf sich nehmen, zum Hausfrauenbund zu gehen, wenn er sich nicht mal fürs Kochen interessiert?
»Na ja.« Niklas schaut mich treuherzig an. »Ich hatte einen viel besseren
Weitere Kostenlose Bücher