Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
bewundern.
»Aufschließen muss ich gar nicht!«, sagt Niklas und drückt den Klingelknopf.
»Aber …«, sage ich.
Dann höre ich, wie von innen geöffnet wird.
Die Tür geht auf. Und Nadine steht vor uns.
Sie wedelt mit einem Schlüssel vor meiner Nase.
Hypnotisiert sehe ich auf das blinkende Metall.
Was soll das?
Warum hat Niklas mir nicht gesagt, dass Nadine hier ist?
»Hallihallo!«, ruft Niklas’ Schwester. »Wie schön, dich wiederzusehen, Iris!«
Ich blicke erstaunt vom Schlüssel in ihr Gesicht. Sie klingt so freundlich.
»Hallo, Nadine«, sage ich.
Nadine gibt Niklas den Schlüssel.
Merkwürdig. Sie sieht viel sympathischer aus, als ich sie in Erinnerung habe. Erstens hat sie heute keinen Küchenkittel an, sondern ein pastellblaues Hemdblusenkleid. Außerdem fuchtelt sie nicht mit einem dreckigen Kartoffelschälmesser in der Luft herum, sondern schwenkt ein weißes Täschchen mit lustigen Fransen. Vor allem aber strahlt sie mich richtig herzlich an.
»Komm, Iris«, sagt Niklas neben mir. »Lass uns reingehen.«
»Ja, sicher«, antworte ich benommen und schiebe mich an Nadine vorbei in den Flur, der nicht wesentlich geräumiger als der in der Kellerwohnung ist, aber immerhin nicht nach Kohl, sondern nach frischer Farbe riecht.
»Na, wie findest du es?«, fragt mich Nadine ganz interessiert. »Ein bisschen klein, aber gemütlich, nicht wahr?«
Ich drehe mich zu ihr um.
»Ja«, sage ich und lächle vorsichtig. »Stimmt.«
Mein Gott. Nadine benimmt sich ja völlig … zivilisiert.
Niklas hat recht.
Seine Familie hat noch andere Seiten.
Ich werfe ihm einen dankbaren Blick zu. Was für ein prima Tipp von ihm, nach den anderen Seiten Ausschau zu halten.
Tausendmal sinnvoller als diese Angst-Aufsuche.
Niklas sieht mich an, als wüsste er genau, was ich denke.
»So«, sagt Nadine eifrig. »Zuerst das Wohnzimmer, ja?«
»Ja«, sage ich schon viel entspannter. »Gerne.«
»Da entlang. Bitte sehr.« Niklas hält mir galant die Tür auf. »Du wirst bereits erwartet.«
Ich bleibe wie angewurzelt stehen.
Niklas und Nadine blicken mich freundlich an.
»Deine Eltern?«, frage ich schrill.
Wenn ich wenigstens meine Stimme unter Kontrolle hätte!
»Die werden dir schon nicht den Kopf abbeißen«, sagt Nadine.
Sofort sehe ich Niklas’ Eltern vor mir. Mit weit aufgerissenen Mäulern, deren Bezahnung jeden Werwolf neidisch machen könnte.
Ärgerlich schüttle ich meinen angeblich nicht bedrohten Kopf.
»Nein, natürlich werden sie das nicht«, sage ich.
Vor allem zu mir selber.
Viel forscher, als mir zumute ist, schreite ich in das Wohnzimmer. In dessen Mitte angekommen, blicke ich mich verdutzt um. Sollte das eben nur ein Scherz sein? Niklas’ Eltern sind ja gar nicht hier.
Gerade will ich mich zu Niklas und seiner Schwester umdrehen, um mich über ihren etwas merkwürdigen Humor zu beschweren, als ich von draußen Stimmen vernehme.
Ich sehe, dass die Terrassentür einen Spalt weit geöffnet ist.
Im nächsten Moment tauchen Niklas’ Eltern vor dem großen Wohnzimmerfenster auf, das von einer feinen Schicht Baustaub überzogen ist.
Sie sind doch da.
Ich schlucke entsetzt.
O Gott!
Kurz schließe ich die Augen.
Beruhige dich gefälligst, sage ich mir streng.
Nicht ›O Gott‹! Das ist lächerlich.
O-kay. Entschlossen atme ich durch. Okaaay.
Erstens: Ich lasse ihre Gemeinheiten einfach abprallen.
Zweitens: Ich halte nach ihren anderen Seiten Ausschau.
Drittens: … eigentlich wollte ich doch einen in Ruhe zu Ende gedachten Plan!
O Gott!
Die Nienabers bleiben vor der mattierten Fensterscheibe stehen und schauen suchend zu uns herein. Sie sehen – zumindest in dieser leicht vernebelten Version – wie zwei völlig harmlose ältere Herrschaften aus. Sehr rüstig. Aber keineswegs im Sinne von verkapptem Schreckenspotential.
Als Isolde mich entdeckt, stößt sie ihren Mann an, zeigt auf mich und ruft laut: »Iris! Da bist du ja.«
Als ob ich mich bis eben versteckt hätte.
»Hallo!«, rufe ich zurück und achte dabei darauf, wie meine Stimme klingt, damit sie bloß nicht wieder so schrillt. Irgendwie kommt dadurch mein ›Hallo‹ so dumpf heraus, dass es klingt, als hätte ich ›Huulluu‹ gerufen.
Ich höre, wie Nadine hinter meinem Rücken »Huulluu, huuluu!«, murmelt und leise kichert.
Niklas’ Mutter winkt mir begeistert durch die Scheibe zu.
Auch Niklas’ Vater winkt kurz.
Ich winke hilflos zurück.
Isolde winkt noch mal und lächelt freundlich.
Ich lächle
Weitere Kostenlose Bücher