Hier und jetzt
ihr, dass der Ärmel seines Hemdes bei jedem Schritt ihren Arm berührte.
„Die Frau, die er vielleicht abschieben will?” *
„Oder die vielleicht ihn abschieben will.” Er warf ihr einen Blick zu. „Nervös?”
Lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, als es zuzugeben. „Natürlich nicht.”
„Vielleicht sollten Sie sich alle Anwesenden in Unterwäsche vorstellen.”
„Wie bitte?” stieß sie hervor und schwankte zwischen Lachen und Empörung.
„Diesen Rat hat mir mein Vater vor einer Rede gegeben. Ich hatte solche Angst, dass ich mich fast übergeben musste.”
„Sie?” fragte Claire ungläubig.
„Ich musste in der sechsten Klasse die Abschlussrede halten.”
„Das gab es an Ihrer Grundschule?”
„Albern, nicht wahr?” Seine Augen schimmerten im schwachen Lichtschein. „Es war eine Privatschule. Erst im nächsten Jahr überredete ich meinen Vater, mich auf eine öffentliche Schule zu schicken. Nach dieser Erfahrung bewarb ich mich nie wieder um ein Ehrenamt.
Durch den Rat meines Vaters brachte ich die Rede hinter mich, ohne mich zu blamieren.”
„Sie mussten sich also nicht übergeben.”
„Genau. Allerdings hat auch niemand an den dafür vorgesehe nen Stellen gelacht.”
Sie lächelte, als sie sich den nüchternen und ernsten zwölfjährigen Jacob vorstellte, der bereits diesen typischen verdrehten Humor besaß. „Vermutlich haben Sie nicht gelächelt, um den Zuhörern einen Hinweis zu geben, wann Sie einen Scherz machten.”
„Fragen Sie das im Ernst? Mein Gesicht war vor Angst erstarrt.”
„Ihr Bruder hat behauptet, Sie wären schon mit einem Pokergesicht zur Welt gekommen.”
„Ich habe Sie davor gewarnt, ihm zu glauben. Er war bei meiner Geburt nicht dabei.
Woher will er das also wissen?” Jacob klingelte.
Claire hatte gar nicht bemerkt, dass sie schon das Haus erreicht hatten. Sie war entspannt, als der Gastgeber sie beide begrüßte. Das verdankte sie Jacob mit der Geschichte aus seiner Vergangenheit.
Vom „Eismann” hatte sie solche Freundlichkeit nicht erwartet, doch sie ahnte, dass diese Eigenschaft fest in ihm verankert war. Er ließ sich von der Haushälterin herumkommandieren.
Er baute sein Haus um, damit seine Assistentin keine Treppen steigen musste. Er stellte einen Exsträfling ein und bot ihm Kapital für ein eigenes Geschäft an. Und er half einer nervösen Frau, sich zu entspannen.
Allmählich merkte sie, wie anziehend solche Freundlichkeit war.
Andy Murchison war ein hoch gewachsener Mann mit schütterem Haar und einem kleinen Bauch. Seine Ehefrau war hübsch und viel jünger. Er begrüßte Jacob eine Spur zu herzlich und interessierte sich mehr für Claires Brüste als für ihr Gesicht. „Das ist also der Ersatz für Sonia”, stellte er lächelnd fest. „Sie hatten schon immer einen guten Geschmack, West. Einen verdammt guten Geschmack.”
„Ich lege Wert auf spitzenmäßige Mitarbeiter”, erwiderte Jacob. „Wie nett, dass es Ihnen auffällt. Bestimmt haben Sie von Miss McGuires Fähigkeiten gehört. Oder kennen Sie sie vielleicht schon?”
„Bisher hatte ich nicht das Vergnügen, obwohl mir der Name bekannt vorkommt.”
Murchison betrachtete sie eingehender.
Es geht los, dachte sie.
Jacob war sich Claires Nähe ständig bewusst, ob er nun mit einer ehemaligen Geliebten sprach oder mit Investoren über Football und Aktien diskutierte. Claire zog ihn an wie der Mond das Wasser, und das war ihm suspekt. Ein Mann konnte in einem so starken Sog leicht untergehen.
Er hatte Claire erklärt, sie sollte für ihn Augen und Ohren offen halten. Das stimmte auch.
Es gab aber noch einen Grund, weshalb er sie mitgenommen hatte. Er wollte beobachten, wie sie sich zwischen den Piranhas der Gesellschaft hielt. Das war wichtig, falls er sie heiratete.
Man sah ihr keine Nervosität an. Sie strahlte und unterhielt sich problemlos mit jedem Gast. Wie viele Leute kannten sie? Vermutlich etliche, wie man nach ihrem steifen Verhalten schließen konnte. Die Männer verfolgten Claire mit Blicken, die Frauen lä chelten ihr zu freundlich oder gar nicht zu.
„Manche Leute haben immer Glück.”
„Wade.” Jacob nickte Bill Wade, einem guten Freund von Murchison, zu. „Wie geht es Emily?”
„Gut.” Bill wandte den Blick nicht von Claire. Sie lachte über eine Bemerkung des grauhaarigen Mannes an ihrer Seite. „Warum haben Sie mich noch nicht Ihrer neuen Assistentin vorgestellt?”
„Vielleicht, weil Sie ein glücklich verheirateter Mann
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