Hier und jetzt
hatte lange Ärmel und ließ den Rücken frei.
„Bin ich spät dran?” fragte er und betrachtete sie voller Verlangen.
„Ich bin früh dran.” Sie drehte sich lächelnd um. „Ich erkenne Sie auf dem Gemälde.” Sie deutete auf das Bild. „Sie sind der ernste kleine Mann, der steif und widerwillig neben dem Sessel steht. Wie alt waren Sie damals?”
„Neun.” Vorne war ihr Kleid hoch geschlossen und schlicht.
„Das Baby muss Michael sein. Der Bursche mit dem engelsgleichen Lächeln ist demnach Luke. Michael sieht Ihrer Mutter sehr ähnlich.”
„Die Frau auf dem Gemälde ist Lissa, Michaels Mutter, aber nicht Lukes oder meine.”
„Oh. Ich weiß, dass Ihr Vater mehr als ein Mal verheiratet war.”
„Sieben Mal mit sechs Frauen. Als er starb, stand er kurz vor der Hochzeit mit Nummer sieben. Randolph West hielt nichts von flüchtigen Affären. Er heiratete die Frauen, mit denen er schlief.”
„Sieben Mal mit sechs Frauen?” fragte Claire ungläubig.
„Lukes Mutter heiratete er zweimal. Haben Sie mich nicht überprüft, bevor Sie zu mir gekommen sind?”
„Ich habe mich nach Ihrem Ruf als Geschäftsmann erkundigt, aber nicht nach dem Privatleben Ihrer Eltern.”
„Sie haben doch bestimmt vom Testament meines Vaters ge hört.”
„Ja, natürlich. Der Aktienmarkt brach ein, als die Bedingungen bekannt wurden.”
„Was wissen Sie darüber?”
„Das gesamte Vermögen Ihres Vaters floss in einen Treuhand fonds, der von seinem persönlichen Anwalt und etlichen Firmenchefs und Vorstandsvorsitze nden verwaltet wird.
Dieser Fonds wird aufgelöst, wenn Sie und Ihre Brüder heiraten.” Sie sah ihn fragend an.
„Muss ärgerlich sein, dass die gesamte Geschäftswelt sich so eingehend für Ihr Privatleben interessiert wie die Klatschzeitungen.”
„Ärgerlich ist noch milde ausgedrückt.” Jacob ging auf sie zu und musste sich gewaltig beherrschen, um sie nicht zu berühren. Zu gern hätte er gewusst, ob ihre Haut so glatt war, wie sie aus sah, doch er wusste, er musste sich bei Claire Zeit lassen. Auf keinen Fall dur fte sie das Gefühl haben, dass er sie zu irgendetwas drängte.
„Wussten Sie über das Testament Ihres Vaters Bescheid?” erkundigte sie sich. „Hat er Sie ständig unter Druck gesetzt, damit Sie heiraten?”
„Oh ja, wir alle wussten Bescheid. Randolph West war von der Ehe überzeugt.”
„Trotzdem ist keiner von Ihnen verheiratet.” Sie warf einen Blick auf das Gemälde.
„Wieso ist er nicht auf dem Bild?”
„Das weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich hatte er keine Zeit, um Modell zu stehen. Wenn er nicht gerade heiratete, arbeitete er.”
„Er war bestimmt sehr unglücklich.”
„Das ist ein merkwürdiges Urteil über einen Mann, der alles und jeden nach seinen Wünschen hinbog.”
„Aber er scheiterte doch ständig auf einem Gebiet, das ihm wichtig war.”
Jacob erinnerte sich an seinen fröhlichen, lebenslustigen Vater, den letztlich nur das Geschäft interessierte. Die Vorstellung, sein Vater könnte tief im Innersten wegen der gescheiterten Ehen unglücklich gewesen sein, war absurd - und beunruhigend.
„Wenn Sie bereit sind, sollten wir gehen”, sagte er knapp.
„Natürlich.” Sie blieb jedoch stehen. „Sie wissen, was die Leute denken werden, wenn Sie mich zur Party mitbringen?”
„Einige sicher.”
„Und das stört Sie nicht?”
„Nein, aber offenbar Sie.”
„Ich mag es nicht, dass die Leute denken, ic h wäre nur so weit gekommen, weil Sie mich unterstützt haben.”
„Daran sollten Sie eigentlich gewöhnt sein. Es wird immer Leute geben, die Ihren Erfolg nicht Ihrer Intelligenz und Ihrer harten Arbeit zuschreiben, sondern Ihrem Sex-Appeal.”
Claire warf ihm einen kühlen Blick zu. „Sollte ich mich jetzt dafür bei Ihnen bedanken?”
„Das war kein Kompliment.” Er nahm sie beim Arm. Doch er wollte viel mehr von ihr berühren.
Als er ihr Handgelenk streichelte, zog sie sich zurück. „Behalten Sie Ihre Hände bei sich.
Ich möchte bei der Party die Fantasie der Leute nicht auch noch anregen.”
„Wie Sie wünschen.” Er war allerdings zufrieden, weil er ge fühlt hatte, dass ihr Puls sich beschleunigt hatte. „Haben Sie etwas zum Überziehen?”
Sie legte sich einen großen, weichen Schal um, der den gleichen Anthrazitton wie ihre hauchdünnen Strümpfe hatte, und befestigte ihn an einer Schulter mit einer goldenen Anstecknadel. Kein Schmuck, stellte Jacob fest, und kein Pelz. Sie ließ sich nicht
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