High Fidelity (German Edition)
entsetzlichstes, bitterstes Mitleid mit ihm zu empfinden.
Es wäre schön, berichten zu können, das Leben sei voll von exotischen Erlebnissen wie diesem, aber das ist es nicht. Dick nimmt mir wie versprochen das erste Liquorice-Comfits-Album auf, Jimmy und Jackie Corkhill hören vorübergehend auf zu streiten, Lauras Mum ruft nicht an, meine Mum aber wohl. Sie glaubt, Laura hätte größeres Interesse an mir, wenn ich ein paar Abendkurse besuchen würde. Immerhin sind wir uns einig, daß wir uns nicht einig sind, und ich breche das Gespräch ab. Und Dick, Barry und ich fahren mit einem Minicab zum White Lion, um Marie zu sehen, und tatsächlich stehen unsere Namen auf der Gästeliste. Die Fahrt kostet genau fünfzehn Mäuse, allerdings ohne Trinkgeld, und das Bitter kostet zwei Pfund das Pint. Das White Lion ist kleiner als das Lauder, ist also eher halbvoll als zweidrittel leer, und auch viel gemütlicher. Es gibt sogar ein Vorprogramm, irgendein gräßlicher örtlicher Singer-Songwriter, für den gleich nach Cat Stevens »Tea For The Tillerman« das Ende der Welt kam (nicht mit dem großen Knall, sondern mit einem leisen Wimmern).
Die guten Neuigkeiten: 1) Ich heule nicht während »Baby, I Love Your Way«, auch wenn mir ein wenig flau ist. 2) Wir werden erwähnt: »Sind das Barry und Dick und Rob, die ich da unten sehe? Schön euch zu sehen, Kumpels.« Und dann wendet sie sich ans Publikum: »Wart ihr schon mal in ihrem Laden? Championship Vinyl in Nordlondon? Solltet ihr echt mal.« Und die Leute drehen sich um, um uns anzustarren, wir machen dumme Gesichter, und Barry, der Blödmann, fängt vor Aufregung fast an zu kichern. 3) Ich will immer noch irgendwo auf Maries Albumcover erscheinen, trotz der Tatsache, daß ich mich ernsthaft krank fühlte, als ich heute morgen zur Arbeit ging, weil ich die halbe Nacht wach war und Selbstgedrehte aus alten Kippen geraucht, Bananenlikör getrunken und Laura vermißt habe. (Sind das gute Neuigkeiten? Vielleicht sind es schlechte, der definitive, endgültige Beweis dafür, daß ich verrückt bin, aber es sind insofern gute Neuigkeiten, als ich noch so etwas wie Ehrgeiz hege und Melody Radio nicht meine einzige Zukunftsperspektive ist.)
Die schlechten Neuigkeiten: 1) Marie holt jemanden für die Zugabe auf die Bühne. Einen Kerl. Einen, der sich mit ihr das Mikrophon mit einer Vertrautheit teilt, die mir nicht gefällt, der die zweite Stimme bei »Love Hurts« singt und sie dabei auf eine Weise anblickt, die vermuten läßt, daß er vor mir in der Schlange fürs Coverphoto steht. Marie sieht immer noch wie Susan Dey aus, und dieser Typ – sie stellt ihn vor als »T-Bone Taylor, das bestgehütete Geheimnis von Texas« – sieht aus wie eine hübschere Ausgabe von Daryl Hall von Hall and Oates, falls ihr euch so eine Kreatur vorstellen könnt. Er hat langes blondes Haar, ausgeprägte Wangenknochen und ist ungefähr drei Meter groß, aber er hat auch Muskeln (er trägt eine Jeansweste ohne Hemd darunter) und eine Stimme, die den Mann aus dem Guinness-Werbespot schmalzig klingen läßt, eine Stimme, die so tief ist, daß sie mit einem dumpfen Schlag auf die Bühne zu prallen scheint und auf uns zurollt wie eine Kanonenkugel.
Ich weiß, daß mein sexuelles Selbstvertrauen derzeit nicht sehr ausgeprägt ist und daß Frauen nicht unbedingt an langem blondem Haar, Wangenknochen und Größe interessiert sind, daß sie manchmal nach ziemlich kurzem Haar, null Wangenknochen und Breite Ausschau halten, aber trotzdem! Schaut sie euch an! Susan Dey und Daryl Hall! Wie sie die Melodielinien von »Love Hurts« ineinander verweben! Beinahe ihren Speichel vermischen! Gut, daß ich mein Lieblings-Shirt getragen habe, als sie neulich in den Laden kam, sonst hätte ich gar keine Chance gehabt.
Mehr schlechte Neuigkeiten gibt es nicht. Das war's.
Als der Gig vorbei ist, hebe ich meine Jacke vom Boden auf und will gehen.
»Es ist erst halb zehn«, meint Barry. »Genehmigen wir uns noch einen.«
»Mach, was du willst. Ich fahre zurück.« Ich will kein Bier mit jemandem trinken, der T-Bone heißt, aber ich gewinne den Eindruck, daß Barry genau das vorhat. Ich habe das Gefühl, ein Bier mit jemandem zu trinken, der T-Bone heißt, könnte für Barry der Höhepunkt des Jahrzehnts sein. »Ich will dir nicht den Abend versauen. Ich hab' nur keine Lust zu bleiben.«
»Nicht mal für 'ne halbe Stunde?«
»Eigentlich nicht.«
»Dann warte einen Moment. Ich muß 'ne Stange Wasser in die Ecke
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