High Fidelity (German Edition)
Nicht-nein-sagen-können-Schwäche. Sie wollen heute abend nicht ausgehen, aber sie können die Verzweiflung heraushören, und sie bringen es nicht übers Herz, mir mit der nötigen Strenge zu begegnen.
Dan Maskell (richtiger Vorname Adrian, aber der mußte weg) macht als erster schlapp. Er ist verheiratet, ein Kind, und er lebt in Hounslow, und es ist Sonntagabend, aber ich lasse ihn nicht vom Haken.
»Hallo Dan? Hier ist Rob.«
»Hallo, Alter.« (Aufrichtige Freude an diesem Punkt, das ist doch schon was, würde ich sagen.)
»Wie geht's so?«
Ich sage also, wie's so geht, und dann schildere ich die traurige Lage – sorry, daß es so auf die Schnelle ist, kleinere Pleite an der Organisationsfront (ich kann es mir gerade noch verkneifen, ihm zu erzählen, daß es an der Lebensfront allgemein in letzter Zeit kleinere Pleiten gegeben hat), wäre trotzdem schön, ihn zu sehen, und so weiter und so fort, und ich kann das Zögern in seiner Stimme hören. Und dann – Adrian ist großer Musikfan, darüber habe ich ihn am College kennengelernt und bin nachher mit ihm in Kontakt geblieben – ziehe ich eine Trumpfkarte und spiele sie aus.
»Schon mal von Marie LaSalle gehört? Sie ist 'ne ziemlich gute, folk-countrymäßige Sängerin.«
Hat er nicht, wenig überraschend, aber ich kann hören, daß seine Neugier geweckt ist.
»Na, jedenfalls, sie ist … na ja, eine Freundin, und sie kommt auch, also … sie ist spitze, und es lohnt sich, sie kennenzulernen, und … ich weiß nicht, falls du …«
Das reicht jetzt auch langsam. Um ganz ehrlich zu sein, Adrian ist leicht bescheuert, was der Grund ist, warum ich dachte, Marie könnte ein Anreiz sein. Warum will ich meinen Geburtstag saufend mit einem Idioten verbringen? Ist eine lange Geschichte, die ihr zum größten Teil kennt.
Steven Butler lebt in Nordlondon, hat keine Frau und auch nicht sehr viele Freunde. Warum also kann er heute abend nicht kommen? Er hat schon sein Video ausgeliehen, darum nicht.
»Erzähl keinen Scheiß, Steve.«
»Na, du hättest mich früher anrufen sollen. Ich bin gerade erst vom Videoladen zurück.«
»Warum siehst du's dir nicht jetzt an?«
»Nein. Was Videos gucken vor dem Tee angeht, bin ich eigen. Das ist, als wenn man sie sich nur so ansieht, verstehst du, was ich meine? Und jedes, das man tagsüber sieht, ist eins weniger, das man abends sehen kann.«
»Wie kommst du denn da drauf?«
»Weil man sie verschwendet, oder nicht?«
»Dann sieh es dir ein andermal an.«
»Oh, klar. Ich kann's mir ja leisten, dem Kerl in der Videothek jeden Abend zwei Pfund nachzuschmeißen.«
»Ich verlange nicht von dir, das jeden Abend zu tun. Ich bin … hör zu, ich gebe dir zwei Pfund, okay?«
»Weiß nicht. Bist du sicher?«
Ich bin sicher, und da haben wir's. Dan Maskell und Steve Butler. Sie kennen sich nicht, sie werden sich nicht mögen, und sie haben nichts gemeinsam, abgesehen von leichten Überschneidungen in ihren Plattensammlungen (Dan interessiert sich nicht sehr für schwarze Musik, Steve interessiert sich nicht sehr für weiße Musik, beide haben ein paar Jazz-LPs). Und Dan rechnet damit, Marie zu sehen, aber Marie rechnet nicht damit, Dan zu sehen, noch weiß sie überhaupt von seiner Existenz. Müßte ein wilder Abend werden.
Marie hat jetzt Telefon, und Barry hat ihre Nummer, und sie freut sich, daß ich angerufen habe, und noch mehr darauf, auf einen Drink mitzukommen, und wenn sie wüßte, daß heute mein Geburtstag ist, würde sie wahrscheinlich vor Begeisterung platzen, aber aus irgendeinem Grund beschließe ich, ihr nichts davon zu sagen. Ihr muß ich den Abend nicht erst verkaufen, was auch gut so ist, weil ich nicht glaube, daß ich ihn loswerden könnte. Sie muß allerdings erst noch was anderes machen, also gibt es eine tödlich lähmende Stunde oder so mit Steve und Dan. Ich rede mit Dan über Rockmusik, während Steve jemanden anstiert, der den Spielautomaten ausnimmt, und ich rede mit Steve über Soulmusik, während Dan den Trick mit dem Bierdeckel bringt, den nur ein extrem nervender Menschenschlag draufhat. Und dann reden wir alle über Jazz, und dann kommt reichlich planloser Und-was-machst-du-so-Kram, und dann geht uns völlig der Saft aus, und wir sehen alle dem Kerl zu, der den Spielautomaten ausnimmt.
Marie und T-Bone und eine sehr blonde, sehr auffallende und sehr junge Frau, ebenfalls Amerikanerin, kreuzen endlich gegen Viertel vor zehn auf, es bleiben also nur noch fünfundvierzig Minuten
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