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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lama
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parkten das Auto hinter dem Tunnel bei Ginzling, und dann ging’s durch den Wald hinauf zum Felsen. Ich muss zugeben, dass der Aufstieg nicht ganz so prickelnd verlief, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es war Winter, es lag Schnee, so dass ich mit meinen Krücken bis auf den Grund durchbrach. Wenn mir zwischendurch der geschiente Fuß wehtat, kroch ich auf den Knien weiter. Aber als ich schließlich in der Wand hing, war alles wieder okay: Der Fuß konnte sich erholen, weil er nicht zum Steigen verwendet wurde, sondern nur in der Luft hing. Und mir ging es sowieso besser, nachdem ich dem bösen Sofageist entkommen war.
    Wir waren eine Tour im Stilluptal gegangen, einem Seitental des Zillertals, und wählten für den Abstieg eine steile Rinne, die von einem großen Kar weit oben hinunter ins Tal führte. Es war schon Abend, und es wurde kühl. Jorg und ich stapften durch den Schnee hinunter, den eine gewaltige Grundlawine hier abgeladen hatte. Wir hatten den Kegel der Lawine beim Aufstieg gesehen. Er war gut und gern 300 Meter breit. Die Lawine musste mit einer ungeheuren Wucht und einem beängstigenden Volumen durch die Rinne hinuntergeschossen sein.
    Ich war überzeugt, dass der Weg, auf dem wir gerade unterwegs waren, sicher war. Die Schneemassen, die unten lagen, sprachen eine deutliche Sprache. Hier war der Schnee des gesamten Kars abgegangen. Gefährlich war diese Rinne erst wieder im nächsten Frühjahr.
    Die Tour war schön gewesen, wir hatten gute Laune. Jorg hatte seinen Helm vergessen, deshalb trug er jetzt meinen auf dem Kopf. Er hatte mich in der letzten Seillänge gesichert und war dann nachgestiegen, und wer im Nachstieg ist, bekommt logischerweise den Helm.
    Wir blödelten herum, dachten schon an die nächsten Projekte, freuten uns auf den nächsten Weltcup auf der Insel La Réunion und stöhnten gleichzeitig über den ewig langen Flug, und es war totaler Zufall, vielleicht aber auch unterbewusste Vorsicht, ein Warnsignal meines Unterbewusstseins, dass ich mich irgendwann umdrehte und die Rinne entlang nach oben schaute.
    Zuerst glaube ich, dass ich mich irre.
    Ich reiße die Augen auf. Es ist noch genug Licht im Tal, so dass kein Zweifel besteht, dass ich richtig sehe. Was ich sehe, schickt eine Kältewelle durch meinen Körper, und in meinem Nacken stellen sich vor Entsetzen die Härchen auf.
    Am oberen Ende der Rinne, in der wir uns gerade befinden und absteigen und durch die das Ungetüm von Frühjahrslawine vor wenigen Tagen abgegangen ist, nimmt gerade eine neue, noch viel gewaltigere Lawine Anlauf, um auf dem Schnee der Vorgängerin ins Tal zu rasen. Ich kann den grauen Schnee sehen, der wie ein offenes Maul auf uns zukommt, die Rinne entlang, von der links und rechts steile Felsen oder mit Gras und kleinen Stauden bewachsene Böschungen wegziehen, noch ist kein Geräusch zu hören außer meiner Stimme.
    »Lawine, Jorg. Renn!«
    Das Kar hat die Form einer Arena. Es beschreibt einen steilen Halbkreis, von dessen Boden die Rinne ins Tal zieht. Ich hatte mich geirrt. Die erste Lawine hat nicht den ganzen Schnee dieser Naturarena ins Tal geschickt. Es muss lediglich der Schnee der Ostseite gewesen sein, den die Vormittagssonne weich und schwer gemacht hat. Die letzten Nachmittage waren alle bewölkt und kühl, da hat sich der Schnee auf der anderen Karseite nicht verabschiedet.
    Das muss ausgerechnet heute passieren. Jetzt und hier.
    Während die Schneefront Fahrt aufnimmt und schon ein dumpfes Rumpeln zu hören ist, rennen wir vor der Lawine davon.
    Wir rennen instinktiv schräg nach unten. Die Rinne ist hier etwa 25 Meter breit und steigt an den Rändern relativ steil an. Ich sprinte auf die Böschung zu. Nur nicht hinfallen, dann ist es aus.
    In Sprüngen rase ich wie ein Viech die Böschung rauf, hechte einem Bäumchen entgegen, kriege es zu fassen und ziehe mich hoch.
    Jorg ist zwei Schritte hinter mir. Er erwischt nur noch einen dünnen Ast und krallt sich daran fest.
    In diesem Augenblick donnert die Lawine an uns vorbei. Nasser, dreckiger Schnee, Steine, Holz, das sie mitgerissen hat. Wir sind so nah, dass wir so etwas wie die Gischt dieser alpinen Flutwelle abkriegen. Im Nu sind wir komplett nass, und während wir da an unserem Bäumchen hängen, donnert immer neuer Schnee an uns vorbei, wie ein Güterzug, der 1000 Waggons hat.
    Es hört nicht auf, es hört nicht auf.
    Ein, zwei Minuten vergehen, und noch immer schiebt sich der Schnee nach unten. Ich habe den Kopf tief zwischen den

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