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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lama
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reißen können, und wenn du eine ausreißt, marschieren die anderen vermutlich mit. Wir müssen also sehr vorsichtig klettern, die Schuppen nur von oben belasten und nicht nach außen ziehen. Wieder ist das ungute Gefühl da. Wenn ich mit den Knöcheln meiner Finger gegen den Fels klopfe, höre ich das hohle »Dong« der Felsenfassade.
    Unmöglich, einen Haken einzuschlagen.
    Jorg, der diese Länge vorsteigt, legt eine Bandschlinge über eine Schuppe und klettert weiter – ein moralisches Placement erster Klasse, denn wenn er fliegt, räumt er die Schuppe garantiert ab. Aber er fliegt nicht, und ich übernehme nach der Schuppenzone die nächste Länge
    Es ist schon spät, Nachmittag, und plötzlich ist das Klettern wieder genial. Jorg hat eine leichte Länge, ich eine schwere, 9–, eine wunderschöne, 50 Meter lange Verschneidung aus weißem Granit mit schwarzen Einlagerungen und einem perfekten Riss, dem ich folge. Ich denke nicht mehr an den Sturz, sondern arbeite mich beseelt nach oben, Jorg macht die nächste wunderschöne Länge, dann ich eine geniale Länge, Jorg noch eine, ich noch eine, und dann sind wir oben. Es ist kurz vor 19 Uhr.
    Wir sind 15 Stunden ohne Pause geklettert.
    Wir hätten von hier aus auch hintenherum über den Gletscher absteigen können, aber wir hatten keine Lust gehabt, die Steigeisen mit raufzuschleppen, also mussten wir unserer Route entlang abseilen. Unser ganzes Material lag schließlich noch am Wandfuß. Wir hatten nur einen Handbohrer mit, um Bohrhaken zu setzen, ein Loch von 5 Zentimeter Tiefe und 8 Millimeter Durchmesser kostete uns 20 Minuten.
    Das Abseilen erwies sich als ziemliche Action. Wir seilten uns meistens über Normalhaken, teilweise über Bohrhaken ab, wenn die Normalhaken nicht vertrauenswürdig genug aussahen. Es wurde dunkel. Als wir beim Einstieg ankamen, war es elf Uhr abends.
    Über das Schneefeld hinunter, rüber zur Hütte. Der Bub vom Hüttenwirt kam uns schon entgegen, sein Vater war begeistert von unserer Route. Die Küche hatte schon geschlossen, aber er machte uns Gott sei Dank noch etwas zu essen. Ich verschlang ein Kilo Kaiserschmarren und spülte zwei Radler nach, dann gingen wir schlafen. Am nächsten Morgen fuhren wir im Korb der Materialseilbahn bis hinunter zum Forstweg, dort fanden wir die Fahrräder, die wir hier beim Aufstieg versteckt hatten, und rollten hinaus, Richtung »Touristenrast«. Wir dachten nach, welchen Titel wir unserer Erstbegehung geben würden, und einigten uns auf »Desperation of the North-Face«.
    Ja. Das war der richtige Ton.
    Zu Hause sortierte ich meine Gefühle. Die Tour war ein Hammer, wir hatten etwas Außergewöhnliches hingelegt, und es war ein echtes Erlebnis gewesen. Etwas in mir befand sich aber in Schockstarre. Der Gedanke an den Moment, als sich der Bomberhaken verabschiedet hatte, kehrte permanent zurück, und mit ihm kam die Kälte des Felsens, die in meine Wahrnehmung gesickert war und von dort ein unangenehmes, klammes Gefühl verströmte.
    Zuerst dachte ich darüber nach, was wohl passiert wäre, wenn der zweite Haken auch gegangen wäre. Vielleicht wäre gar nichts gewesen, denn fünf Meter darunter saßen noch zwei recht gute Haken, und bei Licht betrachtet hätte wenigstens einer von ihnen halten müssen, und ich wäre nicht, egal in welchem Zustand, auf dem Podest aufgeschlagen, von dem aus Jorg mich sicherte.
    Der Schock kam von dem Gefühl, am Ende der Fahnenstange angekommen zu sein. Keine Kontrolle mehr zu haben. Nicht mehr über Möglichkeiten zu spekulieren, sondern zu wissen , dass es keinen Ausweg mehr gibt, dass die nächste Wahrnehmung aus Schmerzen bestehen wird, dass du bloß noch alle Muskeln anspannen kannst, um dem Aufprall zu trotzen.
    Ich zerlegte meine Gedanken in immer kürzere Sequenzen, wie bei einem Film in Zeitlupe. Die blitzschnelle Reaktion auf den Haken, der nicht hielt – das kann passieren, vielleicht hätte ich ihn nachschlagen sollen. Aber da kam auch schon der zweite Gedanke, ein Tsunami panischer Synapsen: Scheiße, jetzt passiert was. Scheiße, jetzt ist Schluss mit lustig.
    Dann der erlösende Ruck, weil der Moralische gehalten hatte.
    Ich habe ihn mir nachher noch einmal genau angeschaut. Das dumme Ding wollte einfach nicht raus.
    Ich war nicht zum ersten Mal Passagen geklettert, von denen ich wusste, dass ich nicht fliegen darf, und ich hatte mich schon mehrmals sehr plagen müssen, um so eine Stelle zu meistern. Aber ich war zum ersten Mal in so einer Situation

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