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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lama
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Kletterschuhe und ein paar Socken an, was unüblich ist, weil man dann weniger Gefühl in den Füßen hat. Aber wenn uns die Füße abfrieren, haben wir gar kein Gefühl mehr.
    Ich klettere fünf Meter hinauf, aber plötzlich ist die Selbstverständlichkeit weg und ich komme total ans Limit. Der Riss ist wirklich komplett nass, alle Tritte sind schmierig, und es ist so saukalt, dass ich meine Finger nicht mehr spüre. Ich bin gar nicht wirklich überrascht, als mein rechter Fuß wegrutscht. Er rutscht einfach an dem nassen Fels ab. Der Sturz hat sich irgendwie schon angekündigt. Während ich aus der Wand fliege, denke ich nur, macht nichts, ist eh ein Bomber, aber kaum spüre ich den Widerstand des Hakens, höre ich auch schon ein hässliches »Tsinggggg«, und der Bomberhaken verabschiedet sich ganz lässig aus dem Felsen ---
    In meinem Kopf schrillen die Alarmglocken plötzlich wirklich laut. Jetzt hast die die Haxen ab, mindestens, und was ich noch denke, wird von dem Panikcocktail gelöscht, den mein Gehirn ausschüttet, bis ich mich im Seil hängend wiederfinde und staunend feststelle, dass der Haken, der moralische Haken, der Haken, der eigentlich nicht halten durfte, den Sturz abgefangen hat.
    Er steckt in einem feinen Riss, nur wenige Zentimeter über einem kleinen Dach, das so breit wie eine Hand ist. Es gibt keinen Grund, dass dieses Dach, das am Fels da rüber zu kleben scheint, nicht herausbrechen sollte. Es gibt auch keinen Grund, warum der Haken noch steckt. Auch er sollte ausbrechen, wenn jemand kräftig daran reißt – aber weder das Dach noch der Haken sind herausgebrochen.
    Keine Ahnung, warum.
    Trotzdem danke.
    Ich hänge also in den Seilen, und zwar nicht sprichwörtlich, sondern sehr, sehr echt – wir sind mit zwei dün nen Halbseilen statt mit einem dickeren Einfachseil geklet tert. Der Vorteil besteht darin, dass die Seilreibung nicht zu groß wird und du ein Seil links und eines rechts einhängen kannst, im alpinen Gelände führt die Tour schließlich nur selten geradeaus nach oben.
    Das rote Seil links, das blaue rechts. Das rote hat sich zwei Mal um meinen Körper gewickelt, ich bin eingeschnürt wie eine Stange Salami und muss mich umständlich befreien. Dann ziehe ich mich an dem erstaunlichen moralischen Haken in die Höhe – wenn er den Sturz gehalten hat, wird er wohl auch mein Körpergewicht tragen. In meinem Kopf rumort der Gedanke, dass wir keine Zeit haben, dass ich jetzt aufs Gas drücken muss.
    Jorg ruft von unten, ob alles okay ist, aber ich lasse nur ein kühles »Passt schon« zu ihm hinunterfallen, als ob mein Sturz ein kleines Wackeln beim Balancieren auf der Gehsteigkante gewesen wäre.
    Aber es ist nicht okay, es ist gar nicht okay, und ich klettere plötzlich einen kompletten Blödsinn zusammen. Ich wiederhole den Quergang, lege zwei Friends, wo der Bombenhaken gesessen hat, kein Wunder, dass ich ihnen nicht vertraue, aber ich traue mich nicht zurück in den Riss, aus dem ich herausgeflogen bin, sondern taumle in die andere Richtung, auf die große Schuppe zu und zwinge mich dort so weit hinauf, bis ich endlich ein sicheres Placement legen kann und meine Unsicherheit wieder unter Kontrolle bekomme – ich denke wenigstens, dass ich sie unter Kontrolle habe. Dabei habe ich sie wohl bloß an den hintersten Rand meiner Wahrnehmung gedrängt.
    Jorg klettert nach. Er schaut mich genau an.
    »Bist echt okay, Fuzzy?«, fragt er, aber ich denke mir, dass es eh passt, also antworte ich etwas ungeduldig.
    »Klar. Geht schon wieder.«
    Also klettert Jorg weiter. Er tut sich ziemlich schwer, denn auch die Schlüsselstelle der nächsten Seillänge ist patschnass, und er kann keine vernünftigen Sicherungen legen, aber er schafft es. Bei der nächsten Länge steige wieder ich vor. Die Route führt an einem Kamin entlang, in einem Riss, in den du dich mit dem ganzen Körper hineinzwängst und hinaufrobbst. Auch dieser Riss ist nass, und ich rutsche wieder aus, kann mich aber gerade noch halten. Als ich mich im Fels verspreizt habe und durchatme, merke ich, wie verstört ich eigentlich bin. Aber ich will weiter. Ich will nicht verstört sein. Ich will hinauf.
    Zwei weitere Längen, und wir sind dort, wo wir beim ersten Versuch umgedreht haben. Ab hier also Neuland. Ich steige die nächste Länge vor, dann ist Jorg dran. Die Wand ist schuppig, die Schuppen ineinander verschachtelt und alles andere als stabil. Mit ein bisschen Kraft hätte man jede dieser Felsschuppen aus der Wand

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