High - Genial unterwegs an Berg und Fels
du eh gesichert bist, auch wenn du weißt, dass es nicht stimmt.
Der Normalhaken, den Jorg eingeschlagen hatte, war eindeutig moralisch. Er befand sich bereits auf einem relativ anspruchsvollen Plattenquergang, wo man mit den Füßen auf winzige Tritte steigen musste, während die Hände nur flach am Fels lagen. Er bewältigte die Stelle souverän, und nach der Querung schlug er einen weiteren Normalhaken ein, der wieder hervorragend klang. Jeder Haken singt beim Einschlagen, und am Sound der Vibrationen lässt sich erkennen, ob der Haken gut sitzt oder nicht.
Der Ton wurde immer heller. Passt.
Jorg kletterte weiter, und er brachte ziemlich lange nichts in den Fels. Er stieg über einen Riss zu einem Dach auf, und dort war die Sache gegessen. Nur mehr leichtes Gelände, Jorg machte Stand, und ich kletterte nach.
Die nächste Länge stieg ich vor, der Fels war scheiße, nur eine Sicherung in einer zweifelhaften Schuppe, vielleicht hätte sie aber auch gehalten. Ein paar blöde Züge, dann war es nicht mehr schwer, es folgten zwei geniale Längen und eine durch leichtes, blockiges Gelände. Als wir etwa 350 bis 400 Meter der Wand hinter uns gebracht hatten, sahen wir, wie von Westen das schwarze Wetter hereinkam. Wir mussten umdrehen und abseilen, machten keinen Umweg zur Hütte, sondern liefen direkt hinunter zu den Almen und weiter zum Auto.
Wir saßen im Auto und hörten zu, wie der Regen aufs Dach prasselte. Wir waren zwölf Stunden ohne Pause unterwegs gewesen, kein Essen, nichts zu trinken, aber ich musste Jorg nicht fragen, wie er den Tag gefunden hatte, denn der Tag war genial gewesen. Lässige Kletterei. Anspruchsvoll. Spannend. Das war nicht das letzte Mal, dass wir dieser Wand zu Leibe gerückt waren.
Wir warteten zwei Wochen. Während dieser zwei Wochen spukte das Projekt permanent in unseren Köpfen herum. Der erste Eindruck in der Wand war gut gewesen, aufregend, thrilling. Die Wand hatte was, auch wenn sie gewiss wild sein konnte. Unsere Linie war okay, anspruchsvoll, aber nicht sonderlich brüchig. Es hatte irgendwie Spaß gemacht.
Höchste Zeit für noch mehr Spaß.
Ich könnte nicht sagen, dass wir den zweiten Versuch minutiös vorbereitet hätten. Ich war in der Schweiz gewesen, um bei Mammut etwas zur Produktentwicklung beizutragen, und als ich zurück nach Tirol kam, dämmerte es schon, und der Typ im Autoradio sagte für den übernächsten Tag schlechtes Wetter an. Die letzten Tage waren schön gewesen, also sollte die Wand trocken sein. Sofort rief ich Jorg an.
»Was machst du morgen?«
»Keine Ahnung. Und du?«
»Probieren wir die Sagwand noch einmal. Holst mich ab?«
Am gleichen Abend steht Jorg vor der Tür, und wir packen das Zeug ins Auto, dann ab ins Valsertal, Parkplatz »Touristenrast«.
Diesmal brauchen wir nur zwei Stunden auf die Geraer Hütte. Wir haben den Hüttenwirt angerufen, damit er uns ein Zimmer freihält. Als wir ankommen, ist es halb eins, dunkel, alles schläft. Unser Zimmer ist super, das letzte rechts hinten am Gang, schmale Betten aus Holz, richtig urig.
Um halb vier der Wecker. Drei Stunden können sehr kurz sein. Schnell aufs Klo, die Wasserflaschen füllen, ein bisschen was essen, um vier starten wir. Jorg hat ein paar Müsliriegel eingesteckt, ich gar nichts. Bloß nicht zu viel Gewicht herumschleppen.
Als wir zur Hütte aufgestiegen sind, haben wir die Wand gar nicht gesehen, weil eine riesige Nebelbank davorgehangen ist. Jetzt beginnt sich der Nebel zu verziehen, und als wir am Fuß der Wand ankommen, ist die Sicht nach oben frei.
»Wasserspuren«, sagt Jorg.
»Egal«, antworte ich. »Das nehmen wir in Kauf.«
Die Verhältnisse sind nicht ideal, aber okay. Wir fangen schnell an. Es ist schon hell, wir können ohne Stirnlampen klettern. Aus Zeitgründen haben wir die Längen getauscht. Ich hänge in der dritten Seillänge, der schwersten.
Der Fels ist kalt. Ich klettere wie immer ohne Handschuhe und habe dauernd das Gefühl, in die Nacht zu greifen, ins Feuchte. Als ich auf dem ersten Podest stehe, in das Jorg zwei Normalhaken eingeschlagen hat und meinen Haken einhänge, fühle ich mich gut. Quere dann über die glatte Platte, bis ich zum Bomberhaken komme, und hänge das rote Seil ein.
Jetzt muss ich gerade hinauf, und ich denke, das Schwerste hast du schon hinter dir. Der Riss, den ich jetzt rauf muss, ist nass, aber ich sage mir, egal, jetzt kannst du sogar fliegen, weil der Haken ja ein Bomberhaken ist. Es ist saukalt. Wir haben die
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