High - Genial unterwegs an Berg und Fels
groß.
Wir hocken unter einem riesigen Felsturm. Die Wahrscheinlichkeit, dass genau über diesem Turm etwas runterkommt, ist gering, wenn auch nicht ausgeschlossen. Es ist kalt. Es ist Juli, aber es riecht nach Herbst.
Ich krieche in den Biwaksack, aber mir ist trotzdem arschkalt. Wir legen den Biwaksack auf die Rucksäcke, aber es wird nicht wärmer. Ich packe unsere Rettungsdecke aus, eine dünne Folie aus Aluminium. Darin wickeln wir uns ein.
Jetzt wird es fad. Ich habe keine Spiele auf meinem Handy, also versuche ich zu schlafen. Jorg sitzt da, spielt Sudoku auf seinem Handy und weigert sich, es mir zu borgen, damit ich ihm zeigen kann, wer besser rechnet. Es ist ein Uhr früh. Ich rechne aus, dass es um vier wieder hell genug sein wird, um weiterzugehen. Noch drei Stunden warten in dieser Scheiße.
Vielleicht hätte ich auch schlafen können. Aber ich bleibe mit einer gewissen Anspannung wach, denn ich warte darauf, dass Jorg einschläft, damit ich ihm sein Handy klauen kann. Sobald mir trotzdem der Kopf auf die Brust fällt, weil ich einzunicken beginne, holt mich die Kälte wieder zurück in die beschissene, nasse Wirklichkeit. Wir rasten, aber wir bleiben dauernd in Bewegung. Wir reiben uns die Finger. Wir kreisen mit den Schultern. Alles, um der nassen Kälte etwas entgegenzusetzen.
Die Stunden sind beschissen, aber irgendwie sind sie auch lustig, Kategorie: kalte Füße, die du nie vergisst. Wir hocken im Biwaksack wie ein Stück Fleisch, das fürs Kühlregal eingeschweißt worden ist. Alles drin, auch die Köpfe, Reißverschluss zu. Der Biwaksack ist natürlich wasserfest, aber genau deshalb setzt sich das Kondenswasser unseres Atems innen am Stoff fest und beginnt herunterzutropfen.
Komisch, in solchen Momenten vergisst du ganz, wie es sich anfühlt, trocken zu sein.
Du vergisst auch, wie es riecht, wenn es gut riecht.
Außerdem beschließe ich, mir ein Handy anzuschaffen, auf dem ich Sudoku spielen kann.
Um vier brechen wir auf, es regnet und stürmt wie verrückt. Wir beeilen uns, zum ersten Biwak zu kommen, packen alles zusammen und gehen schnell weiter. Unten müssen wir noch einmal über den Gletscher, das Mer de Glace, Meer aus Eis. Dort sind Metallleitern montiert, über die man sicher absteigen kann.
Im Tal treffen wir Florian, der uns per SMS den guten Tipp gegeben hat, abzusteigen. Er hat auch etwas zu erzählen: Sein Partner hat einen ziemlichen Flug gerissen und sich dabei sechs Rippen gebrochen. Der Helm ist komplett aufgesprungen, Bein und Sprunggelenk sind ab, er hat den Helikopter gebraucht.
Etwas essen, dann packe ich meine Sachen zusammen. Ich muss nach Zürich. Abreise nach Kirgistan.
Dreiundzwanzig
Lorenz Saladin, Jahrgang 1896, war ein Abenteurer aus echtem Schrot und Korn. Er stammte aus Nuglar im Schweizer Kanton Solothurn und zigeunerte als junger Mann durch die ganze Welt. Arbeitete in Nord- und Südamerika als Tellerwäscher, Bademeister und Polizist. Schürfte ziemlich erfolglos nach Gold, weil er lieber an den umliegenden Felsen bouldern ging. In den dreißiger Jahren verschlug es ihn in den Kaukasus. Dort lernte er zwei russische Spitzenbergsteiger kennen: Ewgeni und Witali Abalakow.
Saladin war Kommunist, vor allem aber war er Bergsteiger und Fotograf. Er schloss sich sowjetischen Expeditionen an und erledigte unzählige Erstbesteigungen. Mitten in der Sowjetunion taufte er Gipfel, die er erstbestiegen hatte, auf »Hockhorn«, »Sattelhorn« oder »Pik Zinn«, das waren andere Töne als die Propaganda-Vokabeln der Sowjets. Die nannten ihre Berge lieber »Pik Kommunismus« oder »Gletscher der proletarischen Touristen«.
Als Helfer einer geologischen Expedition gelangte Saladin 1936 ins damalige Kirgisien, die sowjetische Teilrepublik im Süden des riesigen Staates. Er half, Gesteins proben zu entnehmen und Karten anzufertigen. Ne benbei, wenn etwas Zeit war, bestieg er die großartigen Vier- und Fünftausender der Region.
Saladin starb später im Jahr nach seiner Expedition zum Khan Tengri im Tien-Shan-Gebirge. Zwar schaffte er den Gipfel auf 7010 Meter, erfror sich aber beide Fersen und zog sich beim Versuch, die Erfrierungen zu behandeln, eine Blutvergiftung zu, die er nicht überlebte. Er hinterließ seine Legende – und unglaublich schöne Fotos aus Kirgistan.
Diese Fotos hat Robert Steiner ausgegraben, ein deutscher Kletterer und Schriftsteller, der mit dem Schweizer Emil Zopfi ein Buch über Saladin geschrieben hat. Robert ist mit einer aus Kirgistan
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