High Heels im Hühnerstall
Stimme. Sophie widerstand dem Drang, gleich wieder aufzulegen. Ihr war klar, dass Louis’ Telefon ihren Namen anzeigte, und sie wollte unbedingt verhindern, dass Wendy mitbekam, wie sehr ihre Anwesenheit am Ende von Louis’ Leitung sie aus der Fassung brachte.
»Hallo, Wendy«, sagte Sophie mit ausdruckslosem Tonfall und gebrauchte ihren Namen, um ihr zu zeigen, dass sie nicht im Geringsten betroffen war. »Kannst du mir Louis bitte an ans Telefon holen?«
»Tut mir leid, er ist … im Augenblick ein bisschen beschäftigt«, antwortete Wendy bewusst vage. Sophie blickte auf ihre Uhr. Höchstwahrscheinlich war Louis bei den Mädchen, badete sie womöglich oder las ihnen eine Geschichte vor. Es war nur Wendys Tonfall und ihre eigene Fantasie, die dazu führten, dass sie ihn sich nackt an den Heizkörper im Wohnzimmer gekettet vorstellte, während Wendy ihre Spielchen mit ihm trieb. »Ich sage ihm, dass du angerufen hast.«
»Danke«, antwortete Sophie. »Und bitte sag ihm, dass es wichtig ist.«
»Selbstverständlich«, erklärte Wendy, bevor sie das Gespräch beendete. Sophie wartete bis nach Mitternacht auf Louis’ Rückruf, aber er kam nicht. Was entweder hieß, dass er nicht mit ihr reden wollte oder dass Wendy ihm ihre Nachricht nicht ausgerichtet hatte. Sophie erwog, ihn noch einmal anzurufen, aber der Gedanke, Wendy wieder am Telefon zu haben, hielt sie davon ab. Es sah so aus, als müsste sie nun doch abwarten, bis er Kontakt zu ihr aufnahm.
Den Rest der Woche lebte Sophie ihr altes Leben, allerdings gehörte dazu jetzt langes Ausschlafen, und sie ging nicht täglich zur Arbeit, aber sie holte Cal zum Mittagessen vom Büro ab. Sie kaufte sich Kleider, die für eine Küstenstadt völlig ungeeignet waren, und nahm ihre vernachlässigte Kreditkarte zu einem Einkaufsbummel durchs West End mit. Sie besuchte mit Cal eine Dichterlesung in einer Filiale von Borders an der Charing Cross Road, weil er hoffte, dort Steven über den Weg zu laufen. Sie gab neunzig Pfund bei ihrem Lieblingsfrisör in Covent Garden aus, wo sie sich die Haare schneiden und stylen ließ und dem Stylisten ein Trinkgeld von zehn Pfund zusteckte, obwohl sie gerade neunzig dafür bezahlt hatte, dass ihre Haare im Grunde genauso aussahen wie zuvor. Am Freitag wurden ihr zwei Dinge deutlich bewusst: Jake hatte sie nicht, wie versprochen, angerufen und zum Mittagessen ausgeführt, und sie hatte nichts von ihrem Verlobten gehört.
Und Sophie fragte sich, wie es zu der Verwandlung von dem Gefühl, die am meisten begehrte und geliebte Frau der Welt zu sein, hin zum Gefühl, im Leben eines Menschen, für den sie alles aufgegeben hatte, lediglich eine nebensächliche Irritation darzustellen, gekommen war. Sie wusste, dass ihr altes Leben, ihr bequemes, zurückgezogenes Großstadtleben, noch immer auf sie wartete, dass sie sogar ihren alten Job wiederbekommen konnte, falls Eve es tatsächlich ernst meinte. Aber das Problem, das wirklich große Problem bestand darin, dass Sophie jetzt, da sie ihren Freiraum und Zeit gehabt hatte, um alles zu überdenken, feststellte, dass sie es gar nicht mehr haben wollte.
»Kaffee?«, fragte Iris ihre Tochter, die über die vergangenen Tage nachgrübelte. »Komm schon, du musst etwas Warmes trinken, sonst verkümmerst du noch.«
Sophie schüttelte den Kopf. Sie war in der vergangenen Woche für die Möglichkeit auszuschlafen dankbar gewesen, aber sie stellte fest, dass sie viel länger als gewöhnlich brauchte, bis sie richtig wach wurde. Jetzt fühlte sie sich benommen und erschöpfter und verwirrter als vor dem Zubettgehen. Es half auch nichts, dass ihre Mutter so viel Wirbel um sie machte und sie aus Angst, sie könnte magersüchtig werden, zum Frühstücken zwang, es sei denn, sie bat um ein Specksandwich, was natürlich die mütterliche Sorge angesichts der Gefahren der Fettleibigkeit weckte, während ihr mehrere stinkende Hunde um die Beine streiften. Doch an diesem Morgen drehte sich Sophies Magen schon beim Gedanken an Speck um. Genau genommen widerte sie allein der Gedanke an das Frühstück an, was eigentlich ganz untypisch für sie war.
Iris hielt Sophie die Kaffeekanne unter die Nase, als sie in die Küche kam; sie sah noch genauso aus wie vor ihrem Auszug aus dem Elternhaus: Drei Wände waren mit Kiefernholz verkleidet, die vierte mit einer perlmuttlackierten Tapete beklebt, auf der die Morgensonne schimmerte, was bei Sophie Schmerzen in den Augen hervorrief. Sophie wich der Kaffeekanne aus und zog
Weitere Kostenlose Bücher