High Heels im Hühnerstall
Zeit selbst den Eindruck hatte, überhaupt nichts zu wissen.
»Dann ist also heute der große Tag mit dem unehelichen Kind?«, fragte Grace.
»Na ja, mit der Mutter des unehelichen Kindes«, antwortete Sophie. Sie hätte wissen müssen, dass ihrer Mitbewohnerin nichts entging, und außerdem hatte Mrs Alexander den Beistelltisch auf dem Flur vor ihrem Zimmer auffallend lange poliert, während sie sich mit Louis zum gemeinsamen Besuch bei Wendy verabredet hatte.
»Frank ist natürlich unehelich geboren, obwohl man das, wenn man ihn sieht, nie vermuten würde, so wichtigtuerisch, wie der Dummkopf auftritt«, erzählte ihr Grace kichernd. »Er ist wirklich ein Bastard – diese Ironie hat mich jahrelang am Leben gehalten!«
»Tatsächlich?«, fragte Sophie, froh, für einen Augenblick abgelenkt zu sein. »Nachdem Sie mir von Vincent erzählt haben, dachte ich immer, er müsste das Produkt von Ehemann Nummer zwei sein.«
»Nein, Sandy, mein zweiter Mann, hat mich geheiratet, als ich bereits schwanger war, aber er hat von Anfang an gewusst, dass Frank nicht sein Kind war. Sein Dad war ein deutscher Kriegsgefangener – er war kein Soldat, sondern wurde bei Kriegsbeginn hier interniert. Nachdem ich aus Frankreich zurückgekehrt war, nachdem mein Baby gestorben war, habe ich etwas gebraucht, um mich abzulenken. Deshalb bin ich in den Norden gegangen und habe in den Internierungslagern gearbeitet. Die meisten Typen waren nett. Keine Nazis, nur junge Männer, die in etwas verstrickt waren, was sie nicht richtig verstanden. Dieter schnitzte immer winzige Schuhe aus Treibholz. Er hatte starke Hände und einen festen Griff, und er küsste wie ein Zitteraal …« Sophie runzelte bei der Vorstellung die Stirn. »Ich habe ihn nicht geliebt. Aber ich brauchte etwas, jemanden, verstehen Sie? Ich brauchte den Sex. Das war im Jahr 1945, ich war noch jung und schön, ich musste über den Verlust von Vincent und meiner hübschen Tochter hinwegkommen. Wir waren ein ganzes Jahr zusammen, er wurde erst 1946 nach Deutschland zurückgeschickt, aber da wuchs Frank bereits in meinem Bauch heran.«
»Wollte er nicht bleiben oder Sie mitnehmen?«
»Nein.« Grace schüttelte den Kopf. »Du meine Güte, das war nicht diese Art von Liebe. Es ging eigentlich nur um Sex. Unsere Beziehung wäre irgendwann sowieso auseinandergegangen.«
»Sie mussten also den Erstbesten heiraten, um Ihren Ruf zu retten?«, fragte Sophie. »Wie schrecklich!«
»Ach, verdammt, nein«, antwortete Grace. »Mir war es völlig egal, was die anderen von mir hielten. Nein, ich lernte Sandy kennen und verguckte mich in ihn, konnte meine Hände nicht von ihm lassen, obwohl ich bereits mit Frank im sechsten Monat schwanger war, als wir zum ersten Mal miteinander schliefen. Und ihm erging es genauso – wir machten uns glücklich und unbeschwert. Das war eine gute Zeit … Da war dieses Gefühl von Leichtigkeit, das wir beide verspürten, als wäre die Sonne nach sechs Jahren endlich wieder hervorgekommen. Wir hatten noch immer nichts zu essen und auch sonst nichts. Die Zeiten waren hart, aber wir wussten, dass alles gut werden würde, dass die finsteren Zeiten vorbei waren. Über den weißen Kliffs von Dover strahlte der Himmel blau, und auf einmal war wieder eine Zukunft möglich. Und ich glaube, deshalb habe ich Sandy mit seinen leuchtend roten Haaren und den Sommersprossen geliebt. Und er liebte mich, und Frank ebenfalls, als wäre es sein eigenes Kind – nicht etwa, dass Frank das verdient gehabt hätte, er war schon immer ein selbstsüchtiger kleiner Kerl.«
»Wie lange waren Sie mit Sandy verheiratet?«, erkundigte sich Sophie. Sie war von Mrs Tregowans Ehemännern fasziniert, als könnte ihr zumindest eine ihrer Ehen Einblicke in ihre eigene zukünftige Ehe liefern.
»Beinahe dreißig Jahre; ich habe meine Kinder mit Sandy bekommen. Frank und Anna«, erzählte ihr Grace mit demselben stolzen leichten Nicken, das sie immer zeigte, wenn sie anderen ihr Alter verriet. »Ja, wir sind bis Weihnachten 1974 zusammengeblieben.«
»Es muss schwer gewesen sein, ihn zu verlieren«, sagte Sophie und legte ihre Hand auf Grace’ schmale Finger, hatte aber Angst, sie zu drücken, weil sie fürchtete, die zarten Knochen zu brechen.
»Ja. Er hat mir an Heiligabend ein Fondueset geschenkt, und am zweiten Weihnachtsfeiertag ist er mit einer Freundin meiner Tochter davongelaufen! Ein nuttenhaftes kleines Ding, das immer so einen Push-up-BH trug. Er hat mit ihr noch vier Kinder
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