High Heels im Hühnerstall
ihm zu sehnen, haben gar nichts bedeutet, weil ich für ihn nicht einmal existiert habe. Du fragst mich, wie ich ihn hassen kann, und die Antwort lautet, dass ich kein anderes Gefühl für ihn aufbringe, im Moment jedenfalls nicht. Das Ganze kommt zehn Jahre zu spät – jetzt brauche ich keinen Dad mehr, und ich werde nicht so tun, als bräuchte ich ihn, nur um ihn, meine Mum oder sogar dich glücklich zu machen.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Sophie und stützte das Kinn auf ihre Hand, während sie zu ihm aufschaute. »Du stehst unter Schock, du hast keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was passiert ist. Aber du könntest deine Meinung ändern, wenn du dir die Chance geben …«
»Das will ich nicht«, erwiderte Seth achselzuckend.
»Aber du weißt eigentlich gar nichts über ihn«, wandte Sophie ein.
»Das will ich gar nicht«, antwortete Seth und trank den letzten Schluck Kaffee.
»Zum Beispiel«, fuhr Sophie unbeirrt fort, »hat er in Peru für ein Kinderhilfswerk gearbeitet …«
»Was zum Teufel soll das? Wenn er sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, sich um seine eigenen Kinder zu kümmern«, warf Seth ein.
»Und er surft gern. Ich wette, auch du …«
»Ich hasse es.«
»Na ja, du studierst Kunst, nicht wahr? Louis baut gerade ein Fotostudio auf. Porträts, Landschaften, Hochzeiten …«
»Hochzeiten? Verräter!«
»Und er ist ein guter Vater. Seine Töchter – deine Halbschwestern – lieben ihn wirklich.«
»Die lieben ihn jetzt, nachdem er wieder in ihr Leben getreten ist, Jahre, nachdem er sie im Stich gelassen hat? Das sind Kinder, die können nicht anders.«
Wieder sah er Sophie an und kniff die Augen leicht zusammen, während er sie musterte. »Ich wette, dass du viel damit zu tun hast. Ich wette, dass du diese Kinder dazu gebracht hast, ihn wieder zu mögen. Du hast dieses Chaos für ihn bereinigt und hast das Gleiche jetzt mit mir vor, stimmt’s?«
Sophie setzte sich auf den Teppich und schüttelte den Kopf.
»Ich möchte, dass seine Töchter glücklich sind, weil ich sie liebe, und jetzt sind sie glücklich. Und ich liebe ihn, und ich würde ihm und dir gerne helfen, das durchzustehen, wenn du mich lässt.«
Seth stellte seine leere Kaffeetasse auf eines von Mrs Alexanders Spitzendeckchen, die, wie sie Sophie erklärt hatte, nur zu Dekorationszwecken da waren und unter gar keinen Umständen benutzt werden durften.
Er setzte sich auf, streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand, während sie vor ihm kniete.
»Ich mag dich«, sagte er und blickte ihr in die Augen. »Ich möchte, dass du mir hilfst.«
»Wirklich?« Sophie war erleichtert und zugleich verwirrt. »Na ja, das ist großartig. Sag mir einfach, was ich tun soll, dann werde ich … oh.«
Bevor sie begriff, was geschah, schob Seth die Finger in ihr Haar, zog sie zu sich heran und küsste sie.
Eine Sekunde oder vielleicht fünf Sekunden lang leistete Sophie keinen Widerstand, weil der Schock darüber, was da gerade geschah, ihren Kampf- beziehungsweise Fluchtreflex außer Kraft setzte. Aber es war auch die Wärme des von Wodka durchtränkten Kusses, der sie reglos verharren ließ. Und es war ein sehr guter Kuss. Vielleicht waren es fünf Sekunden, vielleicht zehn, die sie sich von Seth küssen ließ, aber es waren eindeutig ein paar Sekunden zu viel, weil sie immer noch einen Sekundenbruchteil davon entfernt war, ihn von sich zu stoßen, als Cal und Carmen zur Tür hereingestolpert kamen.
»Ach, du meine Güte!«, rief Carmen aus, als Sophie sich schließlich von Seth löste. Sie deutete auf ihn. »Das ist nicht Louis!«
»Das habe ich nicht gemeint, als ich dir sagte, dass du Louis’ Gepäck akzeptieren musst«, merkte Cal an.
Seth sprang vom Sofa auf, noch immer ein bisschen unsicher auf den Beinen, torkelte auf die Tür zu und stieß gegen diverse Möbelstücke, als er aus dem Zimmer wankte.
»Seth, warte!«, rief Sophie ihm nach. »Was ist mit dem Zimmer?«
»Dem Zimmer?«, wiederholte Carmen entsetzt. »Dem Zimmer? «
Aber Seth antwortete nicht, sondern fand die Haustür und knallte sie hinter sich so fest zu, dass die Porzellanfigürchen auf dem Kaminsims gefährlich klirrten.
»Ach, verdammte Scheiße«, sagte Sophie, setzte sich aufs Sofa und vergrub das Gesicht in den Händen. »Verdammte Scheiße! Wie konnte das nur passieren?«
»Was ist denn genau passiert?«, fragte Carmen. »Bist du betrunken und durcheinander?«
»Wir haben einfach geredet, und dann hat er mich an sich gezogen, ich
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