High Heels und Gummistiefel
Helm aus blassgrauen Flusen. Insgeheim dachte Isabelle, dass die meisten Frauen, die sie in der Schule in Englisch unterrichtet hatten, ein bisschen so ausgesehen hatten.
Sie wollte schon antworten, dass sie eigentlich für Detektivgeschichten als solche nicht besonders viel übrighabe, aber Fern unterbrach
sie. »Nein, nein, sagen Sie es mir nicht! Heben Sie sich das für das Treffen auf.«
Als Isabelle mit der Bahn nach Hause fuhr, drehte sie Ferns Visitenkarte zwischen den Fingern und schaute nachdenklich zum Fenster hinaus. Die Quince Society hatte keinerlei akademische Legitimation. Wie konnte ein Treffen mit ganz gewöhnlichen Krimi-Fans für ihre Arbeit irgendwie von Nutzen sein?
Als sie ins Haus trat, hörte sie Musik aus Chrissies Zimmer dringen. Jules war nicht da; am Montag hatte sie ihre neue Stelle in dem Fetisch-Laden angetreten. Beim Frühstück hatte sie sich die Brille auf der Nase hochgeschoben und gemeint, die Kunden wären ja vielleicht Perverse, aber sie wären bemerkenswert höfliche Perverse. Sie würden »bitte« und »danke« sagen und einen mit »Madam« anreden. Der Laden hieße nicht umsonst House of Discipline, hatte sie in ihrer knochentrockenen Art abschließend bemerkt.
In ihrem Zimmer schlüpfte Isabelle in ihren schwarzen Badeanzug, zog eine weiße Hemdbluse darüber und fuhr in ein Paar Sandalen. Das Wetter war schön, und sie wollte sich in den Garten setzen und ihre Bibliotheksnotizen überarbeiten. Sie holte sich ein Glas eiskalten Orangensaft und ein Kissen aus der Küche und ging zu der Holzbank hinüber, die im Schatten der Magnolie stand. Dort machte sie es sich bequem, seufzte zufrieden und wandte sich ihren Notizen zu. Das hier, erinnerte sie sich, war genau das, was sie sich vorgestellt hatte, nachdem sie Daisys erste E-Mail bekommen hatte: sie selbst bei der Arbeit, allein, vollkommen konzentriert. Keine Ablenkungen, keine Stör-
»HILFE! HILFE! HIIIILLLFEEEE!«
Isabelle erschrak furchtbar. Chrissie stand in der Küchentür, die Hände ins Haar gekrallt. Sie rannte zu ihm hinüber.
»Was ist passiert? Was ist denn?«
Wimmernd sank Chrissie ihr in die Arme. »Oh, Isabelle, was soll ich nur tun? «
»Wie meinst du das?«, fragte Isabelle ängstlich.
»Es ist eine Katastrophe! Mein Leben ist zu Ende !«
Isabelle trat einen Schritt zurück und musterte ihren Mitbewohner eingehend. Nirgends Blut, keine blauen Flecken. Seine Hände, bemerkte sie, waren voller Klebstoff und Pailletten. Chrissie sank auf die Türschwelle, wiegte sich vor und zurück und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar – in dem er auf diese Weise reichlich Kleber verteilte. Isabelle öffnete bereits den Mund, um ihn darauf aufmerksam zu machen, überlegte es sich dann jedoch anders. Es war nicht nötig, noch mehr zu seinen Sorgen beizutragen. Sie setzte sich neben ihn.
»Chrissie, bitte hör auf zu jammern«, sagte sie ungerührt, »und erzähl mir, was los ist.«
»Es ist... Savage«, offenbarte er mit gebrochener Stimme.
»Was ist savage?«
Mit Augen voller Tränen sah Chrissie Isabelle an. »Nein, Darling, das ist ein Mensch «, erklärte er geduldig, als spreche er mit einem Einfaltspinsel. »Savage ist eine geniale Designerin. Daisy hat die PR für sie gemacht, und ich kreiere die Hüte für ihre Schau im September. Was für mich eine Wahnsinnschance ist. Aber oooooh«, wimmerte er von Neuem los, »sie wird mich umbringen.«
»Komm schon«, sagte Isabelle und half ihm auf. »Zeig mir, was das Problem ist. So schlimm kann es doch nicht sein.«
Als sie Chrissies Zimmer betraten, stellte Isabelle befriedigt fest, dass ihr der schrille Farbenmix fast nichts mehr ausmachte. Bei ihrem ersten Besuch hier, kurz nachdem sie eingezogen war, hatte sie lediglich eine Masse wirbelnder Farben wahrgenommen, die auf sie einstürmten. Sie erinnerte sich, dass sie zwei Fernseher gesehen hatte, einen viereckigen orangefarbenen und einen runden weißen
(später stellte sich heraus, dass Chrissie sich oft gern zwei Sendungen parallel ansah), eine Reihe Lavalampen auf dem Kaminsims und in der Ecke ein großes, mit weißem Kunstfell bedecktes Bett, über dem ein grellbuntes Porträt von Chrissie hing, das (von einem Freund, und nicht besonders gut) im Stil von Andy Warhols Marilyn-Serie gemalt war.
Mittlerweile war sie aber durchaus imstande, in diesem Zimmer zu stehen, ohne zu hyperventilieren, selbst wenn Chrissies riesige elektrische Disco-Kugel sich mit Höchstgeschwindigkeit drehte, so wie
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