High Heels und Gummistiefel
und einer Wolke flusiger grauer Haare, die aussahen, als wären sie statisch aufgeladen. Das war, wie Isabelle einigermaßen entsetzt feststellte, auf ihren vollkommen naturbelassenen Zustand
zurückzuführen. Offensichtlich hatte Miss Goussay vor langer Zeit beschlossen, keine Zeit mehr mit Friseurbesuchen, Spülungen, Föhnen oder irgendwelchem ähnlichen Unfug zu verschwenden und ihr Haar sich selbst zu überlassen. Ganz kurz dachte Isabelle an den von zarten Strähnchen durchzogenen Nackenknoten ihrer Mutter. Lucy Goussay löste sich aus der Gruppe und kam auf sie zu.
»Miss Peppy-on«, sagte sie mit einer Stimme, die wie ein Bellen klang; ansonsten jedoch benahm sie sich wie ein leicht erregbares Schulmädchen. »Oder darf ich Sie Isabelle nennen?« Sie sprach den Namen mit englischer Betonung aus, so dass es fast wie eine einzige Silbe klang – Izbl. »Ich freue mich ja so, dass Sie es einrichten konnten. Schön, zur Abwechslung mal ein junges Gesicht hier zu haben. Und dann auch noch eine Französin, ha! Da komme ich mir ja gleich richtig kosmopolitisch vor. Packen Sie Ihre Sachen irgendwohin. Ach, haben Sie ja schon. Nehmen Sie Platz. Also. Ach ja, ich weiß. Sie essen doch ganz normales Essen, oder?«
»Ja«, antwortete Isabelle ein wenig befremdet und bemerkte den unorthodoxen Aufzug ihrer Gastgeberin: beutelnde Leggins, ein ziemlich abenteuerlicher Pullover, auf dem ein Hund abgebildet war (mit braunen Perlen als Augen und Nase), Legwarmers und allem Anschein nach Steptanz-Schuhe.
»Bei Ausländern frage ich immer vorher. Ist besser so, meinen Sie nicht auch? Man weiß ja nie, was sonst so passiert. Ha. Also, wo waren wir? Ach ja, Getränke. Wir trinken alle Wendys Holunderlikör. Den macht sie selbst, wissen Sie? Ganz schön stark. Ist Ihnen das recht?«
Während Isabelle an ihrem Holunderlikör nippte und man ihr endlich erlaubte, sich zurechtzufinden, fragte Maud ziemlich kurz angebunden: »Also, Lucy, packen wir es jetzt aus? Wir können es kaum erwarten.«
Die schafähnliche Wendy wandte sich an Isabelle. »Sehen Sie, wir hatten so unglaubliches Glück, Miss Peppy-on.« Daraufhin lief Wendy, vielleicht nicht gerade ein sehr selbstbewusster Mensch, knallrot an und verstummte.
Ihre Freundin Maud übernahm das Reden. »Das ist ein Porträt von Meredith Quince, ein Geschenk an die Society von der Familie der Autorin.«
»Oh, da ist ja fantastisch«, stieß Isabelle aufgeregt hervor. »Ich wüsste zu gern, wie sie ausgesehen hat.«
»Herbert, Sie sitzen am dichtesten dran. Hätten Sie wohl die Güte?«, fragte Lucy und reichte dem ältlichen Eichhörnchen eine Schere. Überwältigt von der Bedeutsamkeit seiner Aufgabe, machte Herbert sich daran, der Schnur mit schüchternem Schnippeln zu Leibe zu rücken, während die anderen aufmunternd zusahen. Ungefähr eine halbe Minute dieser Bemühungen war nötig, um Maud auf die Palme zu bringen.
»Geben Sie schon her, Herbert, sonst sitzen wir noch den ganzen Tag hier.«
Ein paar rasche Bewegungen, und das Bild lag enthüllt vor ihnen. Maud und Wendy stellten es aufrecht aufs Sofa, und alle betrachteten es.
»Es wurde gemalt, als sie so Mitte dreißig war, hat der Bursche gesagt«, meinte Lucy.
Das Bild zeigte eine außerordentlich schlanke Frau mit überlangen Gliedern und dunkelblondem Haar, das sie in dicken Locken trug, die von einem Kamm zurückgehalten wurden. Sie trug ein blaues, mit kleinen Zweigen gemustertes Kleid mit quadratischem Ausschnitt und saß vor einer halb offenen Terrassentür in einem grünen Sessel. Überall um sie herum waren von Büchern bedeckte Wände zu sehen. Auf einem Schreibpult hinter ihr standen ein paar Bücher und ein altmodisches Tintenfass. Auf der anderen
Seite, neben Merediths unnatürlich langen Beinen, die sie in Höhe der Knöchel gekreuzt hatte, stand ein kleines rundes Tischchen. Darauf lag ein Paar weiße Handschuhe neben einer Teetasse nebst Untertasse.
Selina faltete inbrünstig die Hände. »Oh, wie schön! Das ist Minton-Porzellan! Ich wusste es ja. Wir haben ein ganz ähnliches Service in unserer Sammlung, nicht wahr, Bobbie?«
»Mit der Perspektive stimmt was nicht, wie?«, bemerkte Wendy vorsichtig. »Ist alles ein bisschen schief und krumm.«
»Ach, Wendy, sei doch nicht so töricht. Das war damals der letzte Schrei. Das waren doch alles Kubisten und so was.«
»Oh, ich verstehe. Natürlich, du hast recht.«
»Sie sieht sehr vornehm aus, nicht wahr?«, fuhr Maud fort.
»Ja, eine äußerst
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