High Heels und Gummistiefel
Studienobjekt zu machen – als eine Art Miss-Marple-Figur. Ihr nun so von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen war aufregend und zugleich auch ein bisschen verwirrend.
»Wendy, sind Sie sicher, dass Sie das nicht falsch verstanden haben?«, fragte Lucy gerade. »Das wäre ja nicht das erste Mal. Eben hat der Kerl noch Nein gesagt, als ich ihn gefragt habe. Das ist doch unlogisch.«
»Oh, aber das ist doch so eine wunderbare Nachricht, Lucy, nicht wahr?«, trillerte Roberta.
»Ich versichere Ihnen, Lucy, es ist kein Irrtum«, beteuerte Wendy mit zitternder Stimme. »Ich hoffe doch, mir solche Dinge noch merken zu können. Er hat gesagt, ihm wäre gerade klar geworden, dass er völlig falschgelegen hätte, und rufe deshalb gleich an. Das hat er sehr deutlich gesagt.«
»Ich frage mich nur, warum er es sich anders überlegt hat«, mischte Peter sich ins Gespräch.
»Ha! Wer weiß? Ich fand den ja ein bisschen wirr.«
»Aber das war, als er Nein zu Ihnen gesagt hat«, entgegnete Maud scharfsinnig. »Jetzt, wo er Ja sagt, halten wir ihn alle für ziemlich schlau, nicht wahr?«
»Ja, ich nehme an, Sie haben recht«, bellte Lucy. »Ha. Nun ja, nun ja. Erst das Porträt und jetzt das. Was für ein Tag! Juhu!«
»Er war außerordentlich höflich«, setzte Wendy ihre Schilderung etwas gefasster fort. »Er hat gesagt, Sie können ihn jederzeit anrufen, um einen Tag auszumachen. Also, wer möchte noch einen Holunderlikör?«
Herbert schob sich dichter an Isabelle heran, die noch immer vor dem Porträt stand. Geistesabwesend betrachtete sie das Schildchen auf dem Rahmen, das aus dem Packpapier hervorlugte. »Porträt der Schriftstellerin Meredith Quince. Gestiftet von Thomas Quince, Esq.«
»So aufregend ist es nicht immer, wissen Sie, Miss Peppy-on«, vertraute er ihr an. »Sie haben einen richtig guten Tag erwischt. Mein liebster Quince-Roman«, fuhr er fort, »ist Der Tod der Bauchrednerin. Das erste Mal habe ich ihn als Junge gelesen, und ich fand, es war eine tolle Geschichte. Ich finde es wunderbar, wie sie die Welt des Varietes beschreibt. Man kann die Schminke richtig riechen, nicht wahr? Unglaublich, sich vorzustellen, dass sie das noch nicht geschrieben hatte, als das Bild hier gemalt worden ist. Aber vielleicht hat sie im Geist gerade daran gearbeitet. Wie klug sie aussieht!«
»Ich finde auch, Der Tod der Bauchrednerin ist faszinierend«, erwiderte Isabelle. Zum Teil lag das daran, dass der Roman 1952 veröffentlicht worden war, inoffiziell das 20. Jubiläum von The Splodge. Aus diesem Grund hatte Isabelle ihn wieder und wieder sehr gründlich gelesen und dabei ihr Augenmerk ganz besonders auf Bauchreden als mögliche Metapher für Meredith Quinces künstlerische Zwangslage gerichtet. Oberflächlich betrachtet mochte der Roman vom dem rätselhaften Mord auf offener Bühne an einer liederlichen Unterhaltungskünstlerin handeln, deren weibliche Komparsen-Attrappe Cockney-Dialekt sprach. Doch war Meredith Quince selbst – die verhinderte Experimentalistin, die Kriminalroman-Autorin geworden war – ebenfalls eine Bauchrednerin, die keine andere Überlebensmöglichkeit hatte, als mit einer Stimme zu sprechen, die nicht ihre war? Isabelle hatte Professeur Sureau gerade eine Synopsis eines Kapitels zu genau diesem Punkt gemailt. Herbert erzählte ihr soeben von seiner Lieblingsszene (der atemlose Moment, wenn die beherzte Lady Violet, als Gehilfin eines Zauberers verkleidet, den Mörder gerade noch rechtzeitig vor versammeltem Publikum entlarvt, während er sich just in aller Seelenruhe anschickt, sie in der Mitte durchzusägen), als er von Maud unterbrochen wurde, die alle nach nebenan zum Essen rief.
Die Speisen erwiesen sich als mäßige Zumutung. Vor allem gab es einen höchst befremdlichen Salat, der unter anderem Rosinen, Kartoffeln, Erdnüsse, Karotten und Erbsen enthielt. Wendy hatte ihn gemacht, und Maud hatte ihn mit seifenähnlichen Käsewürfeln »aufgepeppt«. Isabelle musste an eine Geschichte denken, die die Runde gemacht hatte, als sie noch zur Schule gegangen war. Ein Junge aus ihrer Klasse, der zu linguistischen Zwecken einen Sommer in England verbracht hatte, war mit jeder Menge Schilderungen zurückgekehrt, die einen schaudern ließen – wie man ihn gezwungen habe, mit Anchovis und Banane belegte Sandwiches zu essen. Damals hatte Isabelle das als Aufschneiderei abgetan. Jetzt, als sie mit einer Portion Lasagne aus Putenhackneisch, Dosenananas und Hüttenkäse herumspielte, kreiert
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