High Heels und Gummistiefel
faszinierende Lady«, pflichtete Peter ihr bei. »Lächelt sie?«
»Ein bisschen, glaube ich«, antwortete Wendy. »Jedenfalls sieht sie sehr nett aus.«
»Die Farben sind ziemlich gut geraten. Ich wüsste ja gern, wann genau das Bild gemalt wurde. Steht ein Datum drauf?«
Peter inspizierte die Ecken des Bildes, dann schaute er auf die Rückseite. »Nein, Lucy. Ich kann nichts entdecken.«
Isabelle konnte sich nicht länger beherrschen. »Ich glaube, es wurde 1947 oder 1948 gemalt«, bemerkte sie in ihrem melodischen Tonfall.
»Meinen Sie, Izbl? Und warum?«
»Ihre Frisur erinnert mich tatsächlich an die Kriegsjahre«, ließ sich Emily, das weibliche Eichhörnchen, schüchtern vernehmen.
Isabelle erhob sich. Sie kam sich vor wie Hercule Poirot, der sämtliche möglichen Tatverdächtigen zusammengerufen hatte und im Begriff war, zu einer dramatischen Rekonstruktion des ganzen Falles anzusetzen.
»Ich glaube, mit dem Haar haben Sie recht. Aber ich sehe noch andere indices, äh... Hinweise in dem Bild.«
»Wirklich? Und was sind das für welche?«, wollte Maud ein wenig unwirsch wissen.
»Ich glaube, es sind bildliche Anspielungen auf die Romane vorhanden, die Meredith Quince zu dem Zeitpunkt, als sie das Porträt malen ließ, bereits veröffentlicht hatte. Sie sind wie ihre... Attribute. Das hier zum Beispiel«, sagte sie und zeigte auf einen kleinen Zweig, der von der (sonderbar verzerrten) Decke über dem Kopf der abgebildeten Frau herabhing. »Das ist doch ein Stück Mistel, nicht wahr? Und doch ist in dem Garten, den wir durchs Fenster sehen, Sommer.«
»Tod unter dem Mistelzweig!«, rief Selina.
»Ja, ich denke schon. Das war der erste Roman mit Lady Violet als Hauptfigur; er wurde 1936 veröffentlicht...«
»Gütiger Himmel, die Handschuhe da auf dem Tisch!«, murmelte Wendy. »Glauben Sie...«
»Ja.« Isabelle nickte. »Sie könnten Mord in Glacehandschuhen repräsentieren. Das Stück Zitronenschale da in der Teetasse...«
»Steht für Das Geheimnis der Zitronenschale!« Herbert war ebenfalls aufgestanden, um das Porträt genau in Augenschein zu nehmen.
»Das ist mein absoluter Lieblingsroman. So schlau gemacht. Wissen Sie, ich vergesse immer wieder, wer’s war, jedes Mal«, sagte Roberta, ohne von ihrem Strickzeug aufzublicken.
»Mord in Glacéhandschuhen wurde 1945 veröffentlicht«, meinte Peter. »Also ist das Bild hier wahrscheinlich um diese Zeit gemalt worden.«
Isabelle schüttelte den Kopf. »Ich glaube, da ist noch etwas anderes. Das hier.« Sie zeigte auf einen Gegenstand dicht neben Merediths Fuß, der sich kaum vom Muster des grün-roten Perserteppichs abhob.
»Äh, was? Wo?« Gereizt starrte Lucy auf das Bild. »Ich sehe nichts.«
»Doch, ich sehe es! Das ist ein geschliffener Stein. Wie clever!« Wendy führte einen erregten kleinen Tanz auf.
»Der abtrünnige Smaragd, 1947«, bestätigte Peter und strich sich nachdenklich den Bart.
»So ein Spaß!«, rief Fern. »Wie kryptische Stichworte! Glauben Sie, das war alles ihre eigene Idee?«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Lucy, die das Porträt betrachten wollte, schickte Wendy hin.
»Ja, ich glaube, was das Datum betrifft, haben Sie recht, Mademoiselle«, sagte Peter höflich. »Demnach stammt das Porträt wirklich aus den späten Vierzigerjahren.«
»Ich weiß noch, unsere Mutter hatte genau so ein Kleid, als wir Kinder waren«, bemerkte Selina. »Stimmt’s, Bobbie?«
»Wo sollen wir es hinhängen, Lucy?«, erkundigte sich Maud.
Die Mitglieder der Society begannen, über den besten Platz für das Bild zu diskutieren. Die Debatte nahm recht hitzige Formen an. Als Wendy zurückkam, musste sie mehrere Versuche machen, bevor es ihr schließlich gelang, Lucy auf sich aufmerksam zu machen. Sie sagte irgendetwas darüber, der Anruf sei eine weitere wunderbare Überraschung gewesen. Isabelle hörte bei all dem nicht besonders genau zu: Sie musterte neugierig das Porträt. Meredith hatte nie die Öffentlichkeit gesucht, und soweit es Isabelle bekannt war, gab es keine Porträtfotos von ihr. Alles, worauf sie jemals gestoßen war, war ein verschwommenes Gruppenfoto, das bei einem Literaten-Mittagessen in den frühen 60er Jahren aufgenommen worden war. Darauf trug Meredith einen Turban und hatte den Blick von der Kamera abgewandt, so dass alles, was man von ihr sah, das war, was auf Französisch ein profil perdu genannt wird. Folglich war Isabelle nichts anderes übrig geblieben, als sich ein eigenes Bild von
ihrem
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