High Heels und Gummistiefel
genau wie sein Vater.«
»Stattdessen«, meinte Peter, »hat er uns das Porträt geschenkt. Vielleicht hat er ja gedacht, er ist uns etwas schuldig.«
»Wir waren doch immer so loyal!«, sagte Wendy.
Lucy kam wieder herein; sie hüpfte vor Aufregung. »Wir werden nächsten Sonntag zum Tee erwartet. Ha! Endlich gewonnen!«
Alles jubelte.
»Sie müssen natürlich auch mitkommen, liebe Izbl.«
»Ja, vielen Dank.« Isabelle nickte geistesabwesend. Gerade war ihr etwas eingefallen. Zum Glück begannen alle, mit ihrem Kaf fee durcheinanderzuwuseln, und sie hatte Gelegenheit, noch einmal einen Blick auf das Porträt zu werfen. Dort war das Schreibpult, und darauf das Tintenfass. Aber Meredith hatte ihre Romane doch gewiss mit der Schreibmaschine verfasst, oder etwa nicht? Das Tintenfass warf einen dramatischen Schatten, bemerkte sie, was seltsam war, denn das Buch daneben tat das nicht. Dann musste sie sich mit aller Gewalt beherrschen, um nicht vor Verblüffung ihren Kaffee herauszuprusten. Die schwarze Fläche am Fuß des Tintenfasses war gar kein Schatten – es war ein Klecks. Oder auf Englisch a splodge.
10
Daisy
»Und was jetzt?« Ein wenig beklommen schaute Daisy in den Kanalschacht.
»Wir klettern runter«, erwiderte Octave leichthin. »Es ist vollkommen ungefährlich, wir machen das andauernd. Du wirst sehen, es lohnt sich.«
Zwei Wochen waren seit der Knutscherei am Paris-Plage vergangen, die damit geendet hatte, dass Octave und Daisy auf seinem Motorroller zu seiner Wohnung geflitzt waren und die Nacht dort verbracht hatten. Für Daisys Verhältnisse war das alles reichlich schnell gegangen, doch Octaves Charme und sein Enthusiasmus hatten etwas Unbezwingbares, und sie hatte sich fröhlich etwas ergeben, das sich wie eine impulsive Ferienromanze angefühlt hatte. Octaves Freundin zu sein war eine ziemlich atemlose Angelegenheit: Innerhalb von zwei Wochen waren sie uneingeladen auf zahlreichen Partys aller Art aufgetaucht, hatten sich in den Badezimmern diverser Leute auf dem Boden geliebt (und einmal in einem Schrank) und jede Menge Gratis-Champagner getrunken. Außerdem waren sie des Öfteren auf den Dächern von Paris gewesen, denn das war ein weiteres Hobby von Octave. Nun war Daisy nicht weniger abenteuerlustig als jeder andere: Sie hatte es anfangs sogar ganz aufregend gefunden, an irgendwelche Mansardenfenster gelehnt im Mondschein mit Octave zu knutschen. Doch allmählich sehnte sie sich nach einem langweiligen, unkomplizierten Date, eins, bei dem sie sowohl hochhackige Schuhe tragen als auch ihren richtigen Namen verwenden konnte.
Dieser Abend jedoch war für ein solches Date nicht geeignet. Daisy ging mit den Pique-Assiettes auf eine Underground-Party, im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich in den Catacombs, jenem Netzwerk aus Tunneln, das Paris einst als Friedhof gedient hatte. Allem Anschein nach, hatte Bertrand mit welpenhafter Begeisterung verkündet, waren die Tunnel voller richtig alter Schädel und Gebeine. Als ob das etwas Gutes wäre. Daisy war nicht wirklich hingerissen gewesen, doch das war ganz sicher etwas, was sie Jules erzählen konnte. Hörte sich an, als wäre das genau ihre rabenschwarze Kragenweite.
Daisy rückte ihren Höhlenforscherhelm zurecht, schob die Taschenlampe in den Gürtel und machte sich daran, die Sprossen einer schmalen Stahlleiter hinabzusteigen. Kurz darauf folgte Octave ihr und zog den Kanaldeckel über sich zu. Bertrand und Stanislas, die zuerst hinuntergeklettert waren, leuchteten mit ihren Taschenlampen. Daisy war froh, dass sie auf die Pique-Assiettes gehört und stabile Gummistiefel über ihre Designer-Röhrenjeans gezogen hatte. Die Entscheidung in Sachen Schuhwerk war ihr nicht leichtgefallen, doch sie musste zugeben, dass Stanislas recht gehabt hatte. Ein paar der Gänge, durch die sie jetzt tappten, standen halb unter Wasser. Im Gänsemarsch platschten Daisy und die Jungs munter voran.
»Nach meinem Plan ist der Eingang, den wir benutzt haben, am dichtesten an dem Raum dran, wo die Party stattfindet«, sagte Stanislas nach einer Weile. »Lasst uns mal kurz stehen bleiben und horchen.«
Sie verharrten regungslos. Von irgendwoher ertönte das dumpfe Dröhnen von Musik.
»Oh ouais! Es ist ganz nahe!«, sagte Octave. »Allez, courage, les gars!«
Sie platschten noch ein wenig weiter, dann wurde der Boden
allmählich trocken, und die Gänge wurden breiter, während die Musik lauter und lauter dröhnte. Daisy erkannte das euphorische Wummern von
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