High Heels und Gummistiefel
weitere Treppe
hinauf, um ein Zimmer zu betrachten, das als Kinderzimmer für Merediths jüngeren Bruder gedient hatte.
»Meredith hat meinen Großvater hier drin besucht und mit ihm gespielt, als er klein war. Dann war es mein Zimmer, bis ich mit Anfang zwanzig von zu Hause weggegangen bin. Und jetzt habe ich es wieder bezogen. Ich fürchte, es ist ziemlich unordentlich.«
Das Zimmer, in sehr dunklem Grün gestrichen, hatte das Aussehen einer attraktiven Männerhöhle. Isabelle fiel ein sehr schöner Stich auf, der einen französichen Garten darstellte, und ein Schreibtisch, auf dem sich Gartenzeitschriften stapelten. Sie gingen alle wieder hinunter ins Erdgeschoss.
Tom Quince öffnete eine Tür und verkündete: »Und das ist die Bibliothek.«
Ganz kurz musste Isabelle unwillkürlich daran denken, wie sie als Kind Cluedo gespielt hatte. Würde sie sich Colonel Mustard (oder Moutarde, wie er in der französischen Ausgabe des Brettspiels hieß) mit dem Kerzenhalter in der Hand gegenübersehen? Stattdessen trat sie hinter Herbert und Emily Merryweather ein und fand sich in der exakten Kulisse von Merediths Quinces Porträt wieder. Ein Chor von Freudenrufen war aus den Reihen der Quince Society zu vernehmen.
Dieser Raum schien im Gegensatz zu den anderen tatsächlich genau so zu sein, wie Meredith ihn hinterlassen hatte. Isabelle erkannte die Bücherregale wieder, das Schreibpult, den runden Kaffeetisch, den rot-grünen Perserteppich. Merediths grüner Lehnstuhl war neu gepolstert und primelgelb bezogen worden. Hinter den Terrassentüren war der Garten in Dunkelheit getaucht. Tom Quince erklärte seinen hingerissenen Zuhörern gerade, dass dies der Raum sei, in dem seine Großtante den größten Teil ihrer schriftstellerischen Tätigkeit verrichtet habe, genau an diesem Pult. Ehrfürchtig betrachteten sie alle das Möbelstück. Herbert strich
verstohlen mit der Hand darüber; zweifellos dachte er an die Entstehung von Der Tod der Bauchrednerin .
»Welches von den Büchern Ihrer Großtante gefällt Ihnen denn am besten, Tom?«, erkundigte sich Selina bei ihrem Gastgeber.
Dieser fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das nach zahlreichen derartigen Fragen seitens seiner Besucher allmählich ziemlich unordentlich aussah.
»Ah, die Bücher, ja. Sie werden mich für einen fürchterlichen Banausen halten, aber ich gestehe voller Scham, dass ich nie eins davon gelesen habe.«
Höfliches, aber gleichwohl empörtes Schweigen folgte auf dieses Geständnis.
»Es ist eine dürftige Ausrede, ich weiß, aber meine Eltern haben mich nie dazu ermuntert, mich für Merediths Romane zu interessieren. Ich habe sie wohl immer als selbstverständlich hingenommen. Ich glaube, die Originalmanuskripte sind hier alle irgendwo«, schloss er unbestimmt.
Isabelles Herz schlug einen kleinen Purzelbaum.
»Ach, wie lustig!«, kläffte Lucy. »Glauben Sie, wir könnten sie mal sehen?«
»Ich nehme doch an«, warf Maud ein, »dass Sie sie in einem Safe eingeschlossen haben?«
Tom Quince furchte die Stirn und schüttelte den Kopf. »N-nein, ich glaube nicht, dass wir einen Safe haben. Sie sind einfach -«, er vollführte einen Geste, die den ganzen Raum einschloss, »- irgendwo im Haus. Ich weiß wirklich nicht genau, wo.«
»Wie sehen sie denn aus?«, wollte Peter wissen und strich sich den Bart. »Hat sie sie getippt oder mit der Hand geschrieben?«
»Äh, lassen Sie mal sehen, sie hat getippt, glaube ich. Man hat mir die Manuskripte einmal gezeigt, als ich noch jünger war.«
Isabelle konnte kaum an sich halten. Merediths Verwandter
mochte ja nicht die blasseste Ahnung vom literarischen Genie seiner Großtante haben, aber er wohnte hier, in diesem Haus. Und irgendwo in diesem Haus befand sich vielleicht auch das Manuskript von The Splodge . Sie wartete, bis Lucy, Peter und Maud ein Stück weitergegangen waren, um die Bücherregale in Augenschein zu nehmen, dann schob sie sich näher an ihn heran.
»Verzeihen Sie... Mr. Quince?«
»Bitte nennen Sie mich Tom, Isabelle. So heißen Sie doch, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und dieses Peppy-on?«
»Eigentlich heißt es Papillon.«
»Papillon? Das heißt doch was ganz Bestimmtes, oder? Irgendetwas, das mit Märchen zu tun hat, nicht wahr?«
»Äh, nein.« Er trug ein Hemd mit offenem Kragen, und als Isabelle zu ihm aufsah, wurde ihr Blick unwillkürlich von einem feinen Büschel interessant goldener Haare in seiner Kehlgrube angezogen. Sie blinzelte, dann lächelte sie ihn an. »Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher