High Heels und Gummistiefel
Verzweigungen; Acid-Farben und kontrastierende Stoffe waren diese Saison so eine Riesensache, ein Nachhall von Twiggy und Carnaby Street, die Verfeinerung der Vintage-Couture, atmosphärischer Electronic-Pop und die vollkommene Technicolor-Welt der Musical-Comedys. Etienne rauchte und hörte mit ernster Miene zu, ohne sie zu unterbrechen.
»Die andere Sache bei meinem rosa Mantel«, schloss Daisy, »ist, dass oft alles Mögliche passiert, wenn ich ihn anhabe. Irgendwelche Leute fangen in Geschäften ganz komische Gespräche mit mir an. Wildfremde schenken mir irgendetwas. Auf diese Weise bin ich ein paar echt witzigen Leuten begegnet. Das ist ein Glücksmantel, in dem man Freundschaften schließt. Aber wenn ich meinen blauen trage, dann werde ich andauernd von Leuten angehalten, die nach dem Weg fragen. Vielleicht sehe ich darin ja aus wie eine Verkehrspolizistin.«
»Faszinierend.« Etienne drückte seine Zigarette aus. Das Aufnahmegerät klickte und blinkte. »Wissen Sie, ich glaube, das Band ist voll. Möchten Sie noch etwas trinken?«
»Ein Glas Wasser wäre schön.«
»Ja, Sie sind bestimmt erschöpft. Das war ein ganz schöner Vortrag, und noch dazu ohne Skript. Das ist genau das Material, das ich suche. Es ist erstaunlich, wie viele Details Sie in Ihrem Kopf mit sich herumtragen – Sie sind wie eine wandelnde Enzyklopädie.«
»Oh, vielen Dank«, erwiderte Daisy entzückt. »Das ist das erste Mal, dass mich jemand so genannt hat.«
»Also, glauben Sie, es wäre okay, wenn wir das noch ein paar Mal machen?«
»Natürlich! Das wäre toll! Es war viel leichter, als ich gedacht hatte. Jetzt kann ich’s Ihnen ja sagen, auf dem Weg hierher hatte ich richtig Angst. Bei Prüfungen war ich noch nie besonders gut.«
»Mit einer Prüfung hat das überhaupt nichts gemein. Wenn hier jemand der Lehrer ist, dann Sie. Und, das hätte ich gleich sagen sollen: Ich bezahle Sie natürlich für den Zeitaufwand.«
»Ach nein, seien Sie doch nicht albern«, wehrte Daisy lachend ab. »Über Klamotten reden ist das, was ich am liebsten tue. Sie brauchen mir nichts dafür zu geben.«
Bald darauf ging sie, nachdem sie eingewilligt hatte, am nächsten Montag mehr von ihrem Expertenwissen preiszugeben, gleiche Zeit, gleicher Ort. Auf dem Nachhauseweg dachte sie darüber nach, ob Etienne und sein Projekt vielleicht ein gutes Thema für ihren Sparkle- Blog wären. Es war eine unerwartet interessante Begegnung gewesen.
Ein paar Wochen später stieg Daisy abermals auf den weißen Würfel in Raouls Atelier.
Raoul musterte sie einen Augenblick lang eingehend, dann leuchtete sein Gesicht auf. »Ich glaube, so wie Sie heute angezogen sind, ganz in Schwarz, mit dem Minirock und den Stiefeln«, sagte er, »würde ich gern etwas in Richtung Chapeau melon et bottes d e cuir versuchen. Wissen Sie, was ich meine?«
Verwirrt legte Daisy die Stirn in Falten. ›››Melone und Lederstiefel‹? Was ist denn das«
»Ach, das kennen Sie doch bestimmt! Das ist eine bekannte englische Fernsehserie. Da geht es um eine Frau und so einen Kerl – sie sind Detektive. Er heißt John Steed und sie Madame Peel.«
»Mrs. Peel? Oh, Sie meinen Mit Schirm , Charme und Melone !«
»Ja, genau.«
»Dann meinen Sie also etwas in dieser Art?«, schlug Daisy vor und vollführte einen Karate-Kick.
»Oh, das gefällt mir sehr gut«, antwortete Raoul grinsend, »aber diese Pose können Sie nicht halten. Dann fallen Sie um.«
»Ja, da haben Sie recht. Vielleicht, wenn ich einfach ein bisschen in die Knie gehe und die Arme hebe, so, über Kreuz, als ob ich gerade auf jemanden losgehen will?«
»Das sieht sehr cool aus. Aber ich glaube, es wäre sogar noch besser, wenn man die Muskeln in Ihren Armen sehen könnte.«
»Oh, die Bluse kann ich ausziehen. Da habe ich noch ein Hemd drunter.«
Daisy schmiss die Bluse aufs Sofa und nahm ihre Pose wieder ein. »Besser so?«
»Fantastisch. Wow, Sie sind toll braun. Waren Sie in der Sonne?«
»Ja, im sonnigen Solariumland.«
Raoul lächelte, während er rasch zeichnete. Er schaute auf. »Daisy, können Sie... nur den rechten Fuß ein bisschen zur Seite, okay?«
»So?«
»Super. Nein, Augenblick.« Raoul erhob sich und kam zu ihr herüber. »Können Sie den Träger da ein bisschen verschieben, dahin?«, fragte er und zeigte mit dem Finger.
»Machen Sie das. Ich würde lieber die Pose halten.«
»Das gibt eine bessere Linienführung.«
Seine Hand rückte ihren Spaghettiträger zurecht und strich
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