Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
überlebt, und seit heute Nachmittag atmet er ein wenig freier. Er kann nur immer noch nicht schlucken. Ich frage mich, was ihm zugestoßen ist. Es ist, als hätte ihm etwas buchstäblich die Kehle zermalmt.«
»Ein Schlag mit einem Gewehrkolben«, erklärte Isabelle.
Die Nonne sah sie verblüfft an.
»Ein Gewehrkolben? Woher weißt du das?«
»Weil ich es gesehen habe …«
»Wie denn das?«
»Er hat Ti’Paul das Leben gerettet«, fuhr Isabelle fort und riss endlich den Blick von dem Schotten los. »Und es war einer seiner Landsleute, der ihm das angetan hat.«
Sie erinnerte sich daran, was Monsieur Gauthier de Sainte-Hélène ihr über den Dolch anvertraut hatte. Dieser Mann würde hingerichtet werden, wenn man entdeckte, dass er einen Offizier aus seinem eigenen Regiment getötet hatte. Vielleicht sollte sie nicht allzu viel darüber erzählen, was sich im Hinterhof der Valleyrands abgespielt hatte.
»Ich will versuchen, ihm ein wenig Brühe einzuflößen. Und anschließend gehe ich in die Küche, um etwas zu essen. In Ordnung?«
Schwester Clotilde warf dem Schotten einen Blick zu und schenkte Isabelle dann ein Lächeln.
»Einverstanden. Sag Schwester Marie-Jeanne, dass ich dich schicke, dann wird sie schon etwas Schönes für dich haben.«
»Du bist zu gut zu mir, liebste Cousine.«
Isabelle küsste die Schwester, die sie sanft zurückschob und die Stirn runzelte.
»Halte dich nicht zu lange auf.«
Dann verschwand Schwester Clotilde im Flur. Isabelle nahm die volle Suppenschale und trat auf den Soldaten im Schottenrock zu. Sie setzte sich, breitete ohne nachzudenken ihre Röcke um sich aus und sah den Schotten einen Moment lang an. Zuerst wurde ihr Blick von seiner Adlernase angezogen, dann glitt er zu seinem Kiefer hinunter, der kantig und von Bartstoppeln bedeckt war. Als sie seinen Mund musterte, lächelte sie über seine leicht schmollend verzogenen, vollen und ein wenig ungleichmäßigen Lippen. Ganz charmant! Schließlich verhielt ihr Blick auf dem angeschwollenen Hals. Sie erinnerte sich daran, wie heftig der Schlag gewesen war, den er eingesteckt hatte, und erschauerte. Eigentlich hätte der Hieb ihn töten müssen. Wenn er überlebte, würde er gewiss nie wieder sprechen können. Mit den Fingern strich sie über den Bluterguss, wobei sie darauf achtete, keinen Druck auszuüben. Der Mann schluckte, und sie riss die Hand zurück. Der Verletzte stöhnte und bewegte sich.
Durch das Fenster, das man zum Lüften geöffnet hatte, hörte man den Kampflärm, der noch immer von den Höhen in die Stadt drang. Die Engländer hatten die letzte Schlacht gewonnen, aber noch waren sie nicht die Herren von Québec. Rasch hatten sie begonnen, vor den Stadtmauern Verschanzungen zu errichten, und wurden so zur Zielscheibe von Milizionären, die sie aus dem Hinterhalt angriffen, und von französischen Soldaten, die sie von den Zinnen aus beschossen und versuchten, ihre Munitionsreserven zu erschöpfen. Doch das Zwitschern der Vögel, die im Garten und den Obstpflanzungen der Augustinerinnen Zuflucht gefunden hatten, ließ die Zuhörer für kurze Zeit diese makabere Symphonie vergessen und besänftigte ihr Herz. Einer der Verwundeten begleitete die kleinen Sänger und pfiff eine melancholische Melodie. Isabelle wagte nicht, den schottischen Soldaten zu stören, und da sie sich sagte, dass er die Brühe wahrscheinlich ohnehin nicht schlucken könnte, stand sie auf. Doch als sie sich bückte, um die Suppenschale zu nehmen, sah sie, wie seine Lider flatterten.
Mit geschlossenen Augen hörte Alexander wie aus weiter Ferne den Schlachtenlärm, diesen schrecklichen Gesang des Todes. Er kam ihm vertraut vor. War er wieder in Culloden? Er roch Blut und Schießpulver … das Schießpulver, das einem den Mund austrocknet und einen unstillbaren Durst hervorruft. Aber da war auch noch etwas anderes, ein süßlicher Duft, ein zartes Parfüm. Seine Mutter? Mama! Bilder von Frauen zogen vor seinem inneren Auge vorüber: lange Beine, bunte Röcke, zarte Arme, sinnliche Kurven. Sie besaßen durchscheinende Flügel, mit denen sie ihn einhüllten, ihn beschützten, während sie eine sanfte Ballade für ihn sangen … Ihr Lied, das über seine Haut, über sein geschundenes Fleisch glitt wie eine Liebkosung, betäubte seinen Schmerz. Tief drinnen nahm sein Herz den Rhythmus auf… pochte in seiner Brust, seinen Schläfen. Sein Herz schlug also noch? Er war nicht tot? Aber… woher kamen dann diese Engel?
Mühsam öffnete
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