Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Sainte-Anne-de-la-Pérade abgereist war. Dort sollte er Station machen, bevor er nach Montréal zurückkehrte, wo sich seine Kanzlei befand.
Isabelle legte ihren Reifrock und die gesteppten Unterröcke an und zögerte dann angesichts der beiden Kleider, die auf dem Bett ausgebreitet lagen. Sollte sie das blaue anziehen, das sie bei dem Picknick getragen hatte, damals bei ihrem ersten Kuss? Oder doch das grüne aus Camelot-Stoff? Sie hatte eine Vorliebe für Grün, denn die Farbe passte so gut zu ihren Augen. Gut, dann also das grüne! Schließlich bedeckte sie ihr Dekolletee mit einem Schal aus mit Picots verziertem Etamine, warf einen letzten Blick in den Spiegel, um ihre Haube zurechtzurücken, und verließ das Haus.
Auf den Straßen herrschte eine ungewöhnliche Geschäftigkeit. Viele Menschen hatten es eilig, in die Unterstadt zu kommen. Ein Mann stieß sie an und hätte sie beinahe umgeworfen. Er fing sie auf, erging sich in Entschuldigungen und verneigte sich vor ihr.
»Monsieur Lapierre!«
Der Mann runzelte die struppigen Augenbrauen, unter denen seine Augen milchig wirkten. Er erinnerte an einen Spaniel und litt offensichtlich an Kurzsichtigkeit.
»Isabelle Lacroix. Ihr erinnert Euch doch an mich?«
»Isabelle! Oh, die kleine Isa. Das ist aber lange her.«
Er hängte sich ein wenig unschicklich über ihr Dekolletee, um sie genauer anzusehen und schenkte ihr dann ein breites Lächeln, das zahlreiche Zahnlücken enthüllte.
»Na, so etwas! Ihr seid aber ganz schön gewachsen!«
Monsieur Lapierre war Bootsmann auf einem der Schiffe ihres Vaters gewesen. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er seinen Abschied genommen und sich auf die Ländereien seines ältesten Sohns in Beauport zurückgezogen hatte. Fast acht Jahre war das jetzt her.
»Ein wenig schon!«, gab Isabelle lachend zurück. »Sagt mir doch, Monsieur Lapierre, wisst Ihr, wohin all diese Leute wollen? Mir will scheinen …«
»Was, habt Ihr es denn noch nicht gehört? Gestern Abend wurde auf dem Großen Platz ausgerufen, dass Murrays Truppen noch heute Morgen nach Montréal aufbrechen …«
Isabelle spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, und meinte, ihr Herz müsse stehen bleiben.
»Heute… Morgen? Seid Ihr sicher?«
»Ganz sicher. Wollt Ihr mit mir kommen?«
Ihr Blut begann wieder zu fließen und raste geradezu durch ihre Adern. Schwindel erfasste sie, und sie musste sich am Arm des alten Mannes festhalten.
»Ähem … nein. Ich glaube … ich gehe wieder nach Hause. Mir dreht sich der Kopf… Das macht wohl die Hitze …«
»Wie Ihr wünscht, Mademoiselle Isa. Es hat meinem Herzen wohlgetan, Euch zu sehen. Richtet Eurem Vater meine Grüße aus, ja?«
»Ja, gewiss, Monsieur Lapierre …«, murmelte sie zerstreut. »Einen guten Tag.«
Der Mann verschwand. Unter der Nachwirkung des Schrecks stand Isabelle immer noch wie erstarrt da. Die Truppen brachen auf? Das hieß, dass Alexander … Ach, du lieber Gott!
Eine schreckliche Vorahnung ergriff sie. Sie raffte ihre Röcke und rannte den steilen Weg hinab, der in das Palast-Viertel führte. Endlich stürzte sie in die Taverne zum Rennenden Hasen . Der Wirt, der seine Zinnkrüge gespült hatte und sie auf einem Bord über seinen Zapfhähnen aufstellte, wandte sich zu ihr um. Da er sie erkannte und sie keuchend und in Schweiß gebadet sah, bot er ihr lächelnd eine Erfrischung an. Sie machte sich nicht einmal die Mühe einer Antwort; sie musste unbedingt erfahren, ob die Highlander-Regimenter bereits fort waren.
»Seit einer Stunde, meine kleine Mademoiselle! Ach, jetzt hätte ich fast vergessen, Euch das hier zu geben…«
Panisch und schwer atmend riss Isabelle ihm das Briefchen fast aus den Händen und steckte es in ihre Tasche; sie würde es später lesen. Jetzt hatte sie vielleicht noch Zeit, Alexander auf dem Kai zu finden.
Sie drängte sich zwischen Menschen, leeren Marktständen und Mist- und Abfallhaufen hindurch, die vor den Häusern lagen, und rannte so schnell wie noch nie in ihrem Leben in die Unterstadt. Mehrmals wäre sie auf der staubigen, von tiefen Spurrillen gefurchten Straße um ein Haar der Länge nach hingeschlagen.
Das Rollen der Trommeln und das Murmeln der Menschenmenge leiteten sie. Sie sah die scharlachroten Uniformröcke auf den Quais du Roi. Mehrere Schiffe hatten bereits die Anker gelichtet und bewegten sich flussaufwärts. Sie betete zum Himmel, Alexander möge sich nicht auf einem davon befinden. Kähne mit flachem Kiel entfernten
Weitere Kostenlose Bücher