Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
er wurde mit Blut und Gehirnmasse bespritzt. Ein anderer, dem das Bein abgerissen worden war, sackte zu seinen Füßen zusammen und zog ihn im Fallen mit. So gut er konnte schüttelte er den Verkrüppelten ab, dessen Schmerzgeheul ihm in den Ohren gellte, und rannte Hals über Kopf weiter. Mit der ganzen Naivität seiner Jugend forderte er den Tod heraus.
Rache! Rache!, schrie sein Herz, als er im Blut der Seinigen watete.
Die hannoveranischen Soldaten in ihren scharlachroten Uniformen kreisten das Schlachtfeld ein wie ein rotes Band. Er musste durchbrechen und ihre Reihen zerreißen. Er wollte seinen Anteil am Ruhm, wollte, dass seine Taten besungen würden. Mit erhobenem Schwert rannte er auf ein Bataillon zu, das mit aufgepflanztem Bajonett vorwärtsrückte. Durch die Nebel- und Rauchschwaden war ein Teil der feindlichen Armeen seinen Blicken entzogen, doch er wusste, dass sie da waren, irgendwo da vorn.
»Fraoch Eilean!, brüllte er aus vollem Halse.
Wie eine verdammte Seele rannte und schrie er mitten in die in Auflösung befindlichen Highlander-Einheiten hinein. Außer sich vor Sorge, lief sein Vater ihm nach und kämpfte gegen den Strom der flüchtenden Pferde und entsetzten Männer an. Alexander wurde angerempelt, die Männer versuchten ihn zum Umkehren zu bewegen. Hinter ihm schrie sein Vater seine Verzweiflung heraus.
»Sieh mich an, Vater, schau doch …«
Seine vom Pulverdampf verätzten Lungen schmerzten, und seine Stimme war kaum zu vernehmen.
Erneut hörte er Johns Rufe.
»Alas! Alas! Was für eine Torheit! Komm zurück! Du bist verrückt, dass du dorthin läufst!«
»Ich bin kein Feigling!«
»Alas! Nein! Vater hat gesagt …«
»Was er gesagt hat, ist mir vollkommen gleich, ich muss ihnen helfen!«
»Wie kann man bloß so starrköpfig sein! Du wirst unseren Vater noch umbringen! Das wird er dir nie verzeihen und mir auch nicht. Begreifst du denn nicht, Alasdair, es ist vorbei! Alles ist vorbei, wir müssen den Rückzug antreten!«
Doch Alexander hatte sich schon auf dem Absatz umgedreht und lief weiter auf das englische Bataillon zu. Sein Vater brüllte ihm zu, er solle in die Hügel zurückkehren, aber er hörte nicht auf ihn. Eine neue Salve erscholl und forderte einen entsetzlich hohen Tribut. Alexander sah wieder Dutzende von Männern fallen. Er wandte den Kopf; sein Vater war verschwunden. Er schrie. Merkwürdigerweise befand sich John immer noch hinter ihm. Seine Züge waren von Hass verzerrt, und er zielte mit der Muskete in seine Richtung.
Ungläubig blieb Alexander wie angewurzelt stehen. Was machte sein Bruder da nur? Warum richtete er die Waffe auf ihn? Stumm vor Schrecken lief er erneut los. Doch da warf ihn plötzlich ein dumpfer Schlag zu Boden, und ein unerträglicher Schmerz durchfuhr seine Schulter. Sein Bruder hatte auf ihn geschossen … sein Bruder John, seine andere Hälfte … Warum? Alles geriet durcheinander. John beugte sich über ihn, redete auf ihn ein. Aber er verstand nichts davon, derart dröhnte es in seinen Ohren und in seinem Kopf. Dann war sein Bruder verschwunden. Mit jedem Kanonenschlag, der ihm durch Mark und Bein ging, wurde der Schmerz stärker. Um ihn herum rannten Männer, einige sprangen über ihn hinweg. Einer konnte ihm nicht mehr ausweichen und trat ihm das Handgelenk in den Boden. Er würde hier sterben, zu Tode getrampelt von seinen eigenen Leuten … Nein, er wollte nicht sterben, nicht, bevor er seinen Vater gefunden hatte, der gestürzt war … seinetwegen … weil er so verbohrt gewesen war … John hatte ihn aufhalten wollen. Hatte er deswegen auf ihn geschossen? Nein, sein Bruder kannte sein Geheimnis, und er hatte ihren Großvater rächen wollen. Er, Alexander, hatte seinen Clan und seinen Namen entehrt … Er würde als Feigling sterben.
Der Tod schlug die Klauen in seinen Körper und zerrte ihn in die Hölle. Aber nein, er wollte nicht sterben. Er klammerte sich am Boden fest und leistete Widerstand. Dann erhaschte er durch den nach Schwefel stinkenden Rauch hindurch einen Blick auf ein freundliches Gesicht: Daniel O’Shea beugte sich über ihn. Der Priester sprach mit ihm, aber er hörte nur noch seinen eigenen Herzschlag. In seinem Kopf überschlug sich alles.
Connie … Sie war da und streckte ihm durch die Rauchsäulen hindurch die Hand entgegen. So gern wäre er zu ihr gegangen, um sie zu retten. Doch er vermochte sich nicht zu rühren. Dann explodierte die Luft um ihn herum, und alles wurde schwarz …
»Nein!
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