Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Heute, in diesem Tal, in dem er geboren war, starb er ein weiteres Mal. Ein Schauer überlief seinen Rücken, der sich unter der Last seines großen Schmerzes krümmte. Wie oft konnte man in einem einzigen Leben sterben?
Lange Minuten weinte er seinen Kummer heraus, dann nahm er seine letzten Kräfte zusammen. Resigniert brach er gen Osten auf, nach Rannoch Moor, und ließ einen Teil seiner selbst für immer hinter sich zurück.
4
Morgen wird die Sonne im Westen aufgehen, Juli 1757
Endlich verschwand der zerklüftete irische Küstensaum in den aufgewühlten Wassern des Ozeans. Alexander schloss die Augen und wandte sich um. Er kehrte seiner Vergangenheit den Rücken und schaute dem Unbekannten entgegen, das vor ihm lag und ihm die Aussicht auf ein neues Leben eröffnete. Tief sog er die salzige Luft ein, die in seiner Nase prickelte. In das Kreischen der letzten Möwen, die das Schiff umkreisten, mischte sich das Knarren der Takelung. Über ihm knatterten die Segel. Das Meer war unruhig, er musste sich Mühe geben, das Gleichgewicht zu wahren. Langsam entspannten sich seine Hände, die sich in seinen Kilt gekrampft hatten. Schließlich, nachdem er ein paarmal tief durchgeatmet hatte, war er bereit, die Augen zu öffnen und seiner Zukunft entgegenzusehen, die ihm vorkam wie eine graue, Angst einflößende Weite… ohne Orientierungspunkte und ohne ein Ziel; nur der Ozean und ein ungewisses Schicksal lagen vor ihm.
»Siehst du, Großmutter, ich breche auf, wie ich es dir versprochen habe …«
Die Martello hatte zusammen mit mehreren anderen Fregatten und Schonern, die Passagiere transportierten, den Hafen von Cork verlassen und Kurs auf Nordamerika genommen. Doch noch wusste niemand genau, wohin die Reise ging. Die Soldaten waren im Unklaren über ihr Ziel gelassen worden. Europa war nicht der einzige Kontinent, in dem blutige Auseinandersetzungen im Gange waren. Die großen Mächte machten sich Indien streitig und nun auch Amerika, wo das vollständig ruinierte Frankreich nicht mehr lange würde standhalten können. Die Großmacht England hatte vor, es vollständig zu erobern, und würde diesen fetten Brocken gewiss nicht aus den Klauen lassen, ohne sich ehrenhaft darum zu schlagen. Die Flotte, die heute nach Amerika segelte, würde dort triumphieren, wo Admiral William Phips gescheitert war. Den neuen Truppen würde es schon gelingen, die Bewohner dieses kleinen Stückchen Frankreichs auf dem gewaltigen Kontinent, den man die Neue Welt nannte, zur Räson zu bringen.
Für den Highlander-Soldaten ist der Mut die ehrenhafteste aller Tugenden und die Feigheit die schändlichste Verfehlung. Der Highlander verehrt seinen Clanchief, gehorcht ihm blind und opfert sich für seinen Clan und sein Land auf. Für jeden anderen Soldaten stellt die Peitsche die grausamste Bestrafung dar; doch für ihn ist die Schande, die er über seinen Clan und sich selbst bringt, die schlimmste Strafe. Sein Stolz treibt ihn an, seine Pflicht zu tun, während ein anderer Soldat diese nur aus Angst vor Repressalien verrichtet.
Dieses Wissen über das Temperament des Highlander-Soldaten hatte – auf die unausgesprochene Anregung von James Wolfe hin – den Kriegsminister und kürzlich zum Staatssekretär ernannten William Pitt bewogen, die Rekrutierung von Soldaten in den schottischen Highlands anzuordnen. Zuvor hatte man die deutschen Söldnertruppen aufgelöst. Die Highlander waren von rebellischem, kriegerischem Naturell und würden unter dem Kommando von Männern, denen sie vollständig vertrauten, eine furchteinflößende Armee abgeben. Außerdem stellten die Papisten und Jakobiten, wenngleich sie geschlagen worden waren, immer noch eine Bedrohung im Herzen Schottlands dar. Gab es einen besseren Weg, sie zu beherrschen, als ihnen die Illusion einer Rückkehr zu den »alten Bräuchen« vorzuspiegeln, indem man ihnen erlaubte, ihre traditionelle Tracht zu tragen und zum Klang von Dudelsäcken auf ein Schlachtfeld zu marschieren?
Und so zog man zwei Clanchiefs und Gentlemen heran und stattete sie mit Offizierspatenten aus: Simon Fraser von Lovat und Archibald Montgomery. Fraser war der Sohn des berühmten jakobitischen Anführers Lord Lovat, den man in dem nicht weniger berühmten Tower von London geköpft hatte. Ihm gelang es, innerhalb weniger Wochen mit der Hilfe von Freunden mehr als eintausendfünfhundert Männer zu sammeln, aus denen zu Beginn des Jahres 1757 das 78. Highlander-Infanterieregiment aufgestellt
Weitere Kostenlose Bücher