Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
einer der Männer hat auf die Soldaten geschossen, und sie haben zurückgeschlagen«, erklärte John mit eigenartiger Miene. »Sie haben Großvater verwundet. Komm!«
Er sah die Muskete im Gras liegen, nahm sie am Lauf und ließ sie sofort wieder fallen.
»Autsch! Die ist ja ganz heiß? Hast du etwa damit geschossen? Du weißt genau, dass du das nicht darfst …«
»Ich habe die Waffe gefunden«, log Alexander.
»Aber sie ist abgefeuert worden, Alas. Warst du das?«
»Nein, das muss ein Landstreicher gewesen sein … Ich habe jemanden wegrennen sehen und bin ihm gefolgt. Dann habe ich die Muskete gefunden. Bestimmt hat dieser Mann auf die Soldaten geschossen … Vielleicht ein entflohener Gefangener, wer weiß?«
Er wandte sich ab, um Johns Blick auszuweichen. Sein Bruder wusste genau, dass er nicht die Wahrheit sagte. Die beiden waren nicht in der Lage, einander anzulügen.
»Verschwinden wir, ehe uns noch jemand entdeckt.«
»Und Großvater? Wir müssen ihm doch helfen, John!«
»Die anderen werden sich um ihn kümmern, Alas. Wir können nichts für seine Verletzung tun, und die Soldaten sind in die Hügel ausgeschwärmt. Wenn sie uns finden, ist es um uns geschehen …«
Die Zeit verging, Erinnerungen stiegen an die Oberfläche. Dann legte sich eine Hand in seinen Nacken und riss ihn aus seinen albtraumhaften Gedanken. Auf der Ebene des Drummossie Moors, zwischen den entsetzten Gesichtern von Männern, die sich zum Ruhme eines Prinzen in Stücke reißen ließen, erblickte er John, der ihn über die gähnende Mündung eines Laufs hinweg ansah. Er hatte die Wahrheit immer gewusst.
Alexander nahm die zarten Finger wahr, die über sein Haar strichen, bewegte sich aber dennoch nicht sofort. Leticias Duft hüllte ihn ein. Nach einer Weile atmete er tief durch und erhob sich.
»Er ist fort«, sagte sie leise, in der Hoffnung, ihn aus seiner Erstarrung zu reißen. »Ihm ist es nicht besser als dir ergangen, das kann ich dir sagen. Ich wusste gar nicht, dass … dass du einen Zwillingsbruder hast.«
»Hat er noch etwas zu dir gesagt?«, erkundigte er sich matt.
»Nein. Er hat mich angesehen und sich dann auf dem Absatz umgedreht.«
Alexander stöhnte. Mit einem Mal zürnte er sich wegen seiner Schwäche. Mühsam schleppte er sich, gefolgt von der jungen Frau, zur Luke. Seine wild durcheinanderschießenden Gedanken und Gefühle erschöpften ihn. Als er seinen Zwilling erblickt hatte, war sein erster Gedanke gewesen, dass John sich auf ihn stürzen würde, um dieses Mal auszuführen, was er damals nicht beendet hatte. Doch John hatte sich nicht gerührt. Nachdem die erste Überraschung vorüber gewesen war, hatte Alexander die Angst auf dem Gesicht seines Gegenübers erkannt. Bereute John, was er getan hatte? Hatte er begriffen, dass er, Alexander, wusste, was er vor zwölf Jahren getan hatte? Hatte er ein schlechtes Gewissen?
Schwankend, auf unsicheren Beinen, ging er durch den Gang auf das schwache Licht zu, das durch die Holzgitter einfiel, als befände er sich auf dem Weg zum Jüngsten Gericht. Unter dem Ansturm einer Flut von Erinnerungen bewegte er sich schwer atmend. Die Angst davor, in der Lukenöffnung das Gesicht seines Bruders wiederzusehen, schnürte ihm die Kehle zu. Er wurde langsamer, legte die flachen Hände an die Wand und atmete tief durch. Lange blieb er so stehen und betrachtete seinen eigenen Schatten.
»Willst du darüber sprechen?«
Er fuhr zu der jungen Frau herum und maß sie mit einem durchdringenden Blick. Sie zuckte zusammen.
»Sprechen? Worüber denn? Warum sollte dich mein Leben interessieren, MacCallum?«
Wieso sollte er ihr von seiner kriminellen Vergangenheit erzählen und sie damit in die Lage versetzen, ihn vor Gericht zu zerren? Wollte sie, dass er ihr erklärte, warum er vor zwölf Jahren nicht nach Hause zurückgekehrt war? Dass er ihr seine Liebe zu Connie gestand und ihr das traurige Ende der Geschichte schilderte? Dass er ihr seine Kumpane nannte und beschrieb, Donald Marcrae, Ronnie Macdonnell und Stewart MacIntosh, mit denen er sich herumgetrieben hatte? Wünschte sie die Einzelheiten seiner heimtückischen Überfälle auf kleine Militärabteilungen zu erfahren? Wollte sie tatsächlich wissen, wie sein illegaler Handel mit Vieh, das er in den Lowlands gestohlen und in England wieder verkauft hatte, funktionierte? Und was er mit dem Gewinn angefangen hatte? Er hatte ihn für Frauen und Alkohol ausgegeben und den Rest beim Spiel verloren.
Sollte er ihr
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