Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
sind, und bekommst heute keinen Nachtisch.«
»Nu’ heute?«, rief Gabriel fröhlich hüpfend aus, wobei eine Puderwolke um ihn aufstieg. »P’ima! Ma’ie hat Eie’to’te gemacht, und die mag ich sowieso nicht!«
Isabelle seufzte. Das hatte sie ganz vergessen.
»Schön, mein kleines Gespenst, dann lauf jetzt zu Marie. Sie soll dir helfen, dich präsentabel herzurichten. Basile wartet zusammen mit Pauline, um dich zu Monsieur Senneville zu fahren, der bestimmt schon ungeduldig ist, und bringt mich dann ins Hospital.«
»Keine Geigenstunde!«, jammerte Gabriel, als er durch die Tür ging.
»Noch zwei Stunden, dann sind ja schon Ferien!«
»Ich mag nicht Geige spielen.«
»Komm schon, hinaus! Und beeil dich!«
Gabriel hatte sich den Geigenkasten zwischen die Knie geklemmt und unterhielt sich damit, ein langgezogenes »Aaah!« auszustoßen, das durch das Ruckeln der Kutsche zu einem schauderhaften Vibrato verzerrt wurde. Er ließ die kleinen Beinchen in den feinen grauen Wollstrümpfen baumeln und stieß mit den neuen Silberschnallen, mit denen seine Lederschuhe geschmückt waren, unablässig gegen die Sitzbänke. Der kleine Junge konnte einfach nicht stillsitzen.
Als der Knabe bemerkte, dass seine Mutter ihm zusah, schenkte er ihr sein schönstes Lächeln. Isabelle strich zärtlich mit der Fingerspitze über seine Wange und steckte ihm eine rote Haarsträhne, die sich aus dem blauen Seidenband gelöst hatte, hinters Ohr zurück.
»Tu einfach dein Bestes, Gaby, mehr verlange ich gar nicht. Einverstanden?«
Das Lächeln des Jungen wich einer unsicheren Miene, und er sah auf den schwarzen Geigenkasten hinunter, den Grund seiner Sorgen.
»Ich schaffe es nie, dieses Stück für Papas Gebu’tstag zu le’nen!«
»Doch, ganz bestimmt. Aber dazu musst du dich ein wenig anstrengen … Träum nicht so viel, hör auf das, was Monsieur Senneville dir sagt, und gib dir Mühe.«
Die Berline hielt an. Gabriel wollte schon aussteigen, aber seine Mutter hielt ihn am Arm fest, um ihm eine vergessene Spur Reispuder von der Wange zu wischen.
»Zeig mir noch einmal, wie du deinen Lehrer begrüßt, wenn du eintrittst.«
»Ich weiß, wie man sich verbeugt, Mama.«
»Lass das getrost mich beurteilen. Mit dem Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land, vergiss das nicht.«
Der kleine Junge murrte, beugte aber dann den Kopf und tat, als grüße er.
»Sehr schön«, meinte Isabelle und nahm ihm seinen Dreispitz ab. »Du hast nur vergessen, deinen … Gabriel!«
Zwei Korinthen-Plätzchen fielen ihr in den Schoß. Gabriel hielt den Kopf immer noch gesenkt und zog eine enttäuschte Miene.
»Du hast ja schon wieder Plätzchen aus der Küche gemaust!«
»Nicht gemaust!«
»Nein? Hattest du vielleicht vor, sie zurückzubringen?«
»Also … nein.«
»Wenn das so ist, hast du sie doch gestohlen!«
Wortlos hob er die Plätzchen auf und streckte sie seiner Mutter hin.
»Ich will sie ga’ nicht meh’ …«
Isabelle sah einen Moment lang auf das Gebäck hinunter und schob dann sanft seine Hand zurück.
»Schon gut, du kannst sie behalten. Schließlich haben sie eine halbe Stunde unter deinem Hut gesteckt! Aber versuch bitte, Monsieur Sennevilles Teppich nicht vollzukrümeln.«
Während sie sprach, entstaubte sie sein Haar und seine Hosen.
»Ja, Mama.«
Basile öffnete den Wagenschlag. Helles Licht fiel in die Berline und ließ Gabriels Haar aufleuchten. Mit bedrückter Miene stieg der Kleine aus der Kutsche. Wie ähnlich du ihm siehst, dachte Isabelle. Dann küsste sie ihn auf die Nasenspitze.
»Mama … Dafü’ bin ich jetzt zu g’oß.«
Basile, der sah, wie verlegen das Kind war, wandte sich, ein Lächeln auf den Lippen, ab. Gabriel zögerte und küsste seine Mutter dann kurz auf die Wange. Schließlich sprang er, den Geigenkasten unter den Arm geklemmt, aus dem Wagen.
»Wir kommen dich um vier Uhr abholen, Gabriel. Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.«
»Nein, Mama.«
Sie warteten, bis der kleine Junge im Haus des Musiklehrers verschwunden war, und fuhren dann weiter. Seit 1764 arbeitete Isabelle freiwillig im Hospital. Der Tod der kleinen Charlotte hatte ihr die Augen für eine Welt geöffnet, von der sie bis dahin getan hatte, als existiere sie nicht. Außerdem war sie die Nachmittagseinladungen bei diesen Damen leid, die sich für fromm hielten, aber die einfachen Leute erbarmungslos verurteilten. Gott bestraft die Sünder für ihre Fehltritte. Wenn diese Leute gute Christen wären,
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