Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
der Versuchung durch das Böse entfernen. Er wusste nicht mehr, ob er noch hoffen durfte. Er war zu weit gegangen, das wusste er. Aber er hatte nicht anders gekonnt. Mit zerwühltem Haar, angeschwollenen, halb geöffneten Lippen und keuchendem Atem, der ihr Mieder spannte, sah Isabelle ihn durchdringend an. Er konzentrierte sich, um sich zu fassen.
»Nun gut, dann habe ich mich eben geirrt. Ich komme im Juli zurück. Bis dahin hast du reichlich Zeit, um zu entscheiden, ob du mit mir kommen willst oder nicht. Wenn nicht, dann werden sich unsere Wege trennen und nie wieder kreuzen.«
Mit diesen Worten verneigte er sich und ging, ohne darauf zu warten, dass sie ihn hinausführte. Vor dem Haus lehnte er sich, an allen Gliedern zitternd, an die Wand. Eineinhalb Monate… Diesen kurzen Zeitraum brauchte er, um sich die Folgen dessen, was er da gesagt und getan hatte, klarzumachen. Er dachte an Tsorihia und verfluchte sich, weil er ihr unvermeidlich wehtun würde. Was war eigentlich mit ihm los? Warum wollte er, nachdem er endlich ein kleines Glück gefunden hatte, alles in den Wind schlagen für eine Frau, die ihn belogen und betrogen hatte? Weil er Isabelle immer noch so liebte wie früher. Aber auch, um eines Tages zu hören, wie sein Sohn ihn »Papa« rief. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass er all dies nicht umsonst tat …
Als Isabelle allein war, sank sie benommen zu Boden. In ihrem Kopf hallten Alexanders Worte wider, und ihre Haut brannte von seinen Küssen. Still love you … Ihre Mutter hatte gesagt, die Liebe sei ein vergängliches Gefühl, ein flatterhafter Schmetterling, der sich einem auf die Lippen setze und einen Sommer lang Nektar sammle. Dann fliege er in der milden Brise davon, nehme einem die Essenz des Herzens und ließe nur einen bitteren Geschmack zurück. Isabelle hatte ihr geglaubt … bis heute Abend. Die Schmetterlinge waren zurückgekehrt. Sie waren in ihrer Magengrube geflattert und hatten mit ihren zarten Flügeln ihr Herz gestreift. War es möglich, dass … ?
Sie spürte, wie die Tränen aufstiegen, in ihren Augen brannten und über ihre Wangen liefen. Warum musste sie diesen Mann so sehr lieben, der immer ihr ganzes Leben auf den Kopf stellte? Aber es ging nicht mehr nur um sie, sondern auch um Gabriel. Hatte sie das Recht, ihm einen neuen Vater aufzunötigen, der für ihn ein Fremder war? Sein Leben war ohnehin schon durcheinandergeraten, und er würde einige Zeit brauchen, um sich davon zu erholen. Durfte sie ihn mitnehmen, ihn aus seiner vertrauten Umgebung reißen, dem Einzigen, was er noch hatte, und Alexander folgen? Von jetzt an würden ihre Bedürfnisse an zweiter Stelle stehen; ihr Sohn kam zuerst.
Still love you … Trotz allem liebte er sie noch. Die Liebe machte eben nicht immer alles möglich. Sie fühlte sich nicht bereit, die Konsequenzen eines Neuanfangs auf sich zu nehmen und wollte Gabriel kein neues Leben aufzwingen.
Sie dachte wieder an Pierre, der ganz in der Nähe auf seinem Totenbett lag, während sie in Alexanders Armen entflammt war. Die Scham drückte ihr das Herz zusammen, und sie weinte noch stärker. Lange ließ sie ihrem Kummer freien Lauf, bis die Erschöpfung sie überwältigte und sie in einen unruhigen Schlummer fiel. In ihrem Traum knarrte im Sonnenschein, der ein Paar saphirblaue Augen zum Strahlen brachte, ein Mühlrad, an das Dutzende blauer Schleifen gebunden waren.
1767–1768
Unter einem unsicheren Himmel
Man sagt, die Freude könne nicht schaden,
und darum bin ich hier ohne Vorbereitung eingetreten.
Ich komme zurück, und wir werden glücklich sein.
Alexandre Dumas
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Variationen über ein Thema
Helles Licht strömte durch das Blätterdach der Wälder bis hinunter auf den Teppich aus smaragdgrünem Farn. Die Schönheit der Natur und die Stille wirkten beruhigend. Viele Male waren Mond und Sonne auf- und wieder untergegangen. Zwei Wochen war es jetzt her, dass er Isabelle wiedergesehen hatte. Alexander hatte es immer noch nicht fertiggebracht, Tsorihia zu sagen, dass er fortgehen würde. Doch es musste sein. Er hatte nur noch einen Monat Zeit, die Hütte des Hollandais’ in Besitz zu nehmen – wenn sie denn wirklich existierte – und sie instandzusetzen. Munro hatte versprochen, ihm zu helfen. Er würde ihn begleiten, zusammen mit Mikwanikwe und Otemin, obwohl Erstere schwanger war.
Der Fluss sang plätschernd sein Lied. In der Strömung spielten Kinder. Alexander beobachtete sie eine Weile. Wie
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