Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
ein paar Stunden mit dem Kanu.«
»Heiliger Himmel, ein paar Stunden mit dem Kanu! Ich hätte ja mit vielem gerechnet, aber …«
Isabelle starrte die Eingeborenen an, die schon begonnen hatten, den Karren zu entladen, und rührte sich immer noch nicht. Eine goldblonde Haarsträhne fiel ihr in das staubbedeckte Gesicht. Alexander schob sie zärtlich hinter ihr Ohr zurück und strich mit einem Finger über ihre Wange. Sie schlug die Augen zu ihm auf, und zu seiner großen Erleichterung sah er keinen Groll in ihrem Blick, sondern nur Beklommenheit.
»Bist du bereit?«
»Wozu, Alex?«
»Nun ja … zu allem, für das Glück! Unser Sohn ist glücklich, und ich werde dafür sorgen, dass er es auch bleibt. Ich verspreche dir, dass es euch an nichts fehlen wird! Das ist allerdings alles, was ich dir im Moment versichern kann. Später sehen wir weiter… Gib unserem Glück eine Gelegenheit.«
»Eine Gelegenheit …«
Sie beobachtete Gabriel, der, vor Aufregung ganz aus dem Häuschen, Munro nachrannte und zwischen den Kanus und dem Karren hin- und herhüpfte.
»Ich habe dir gesagt, ich würde mit dir gehen, Alex. Und anders, als du glaubst, habe ich noch nie ein Versprechen gebrochen. Für das Glück unseres Sohnes bin ich bereit, mich mit vielem abzufinden. Aber du darfst auch nicht zu viel von mir verlangen! Du hast mir angekündigt, wir würden in die Domäne Argenteuil fahren! Denk nur nicht, dass ich in einem Zelt leben werde wie die Wilden …«
»Und dabei sind sie so bequem! Aber keine Angst, ich habe dich nicht angelogen! Und ich habe erraten, dass du dir sicherlich ein richtiges Dach über dem Kopf mit Wänden aus Holz und mit Glasfenstern wünschen würdest.«
Die Augen auf das sie umgebende Wasser gerichtet, das jeden Moment drohte, in das Kanu hineinzuschwappen, wiegte sich Isabelle im Rhythmus des Ruderschlags und hielt sich an dem gewachsten Tuch fest, mit dem ein Teil ihrer Habseligkeiten abgedeckt war. Der Himmel wurde immer dunkler und verschwamm mit der Weite des Sees. Die Geräuschkulisse der Zivilisation war immer weiter hinter ihnen zurückgeblieben und dann verstummt. Die Stille vermochte allerdings ihre Ängste nicht zu zerstreuen. Als erleichternd empfand sie allein, dass die erstickende Hitze, die in der Stadt herrschte, gewichen war. Hier atmete man freier.
Isabelle spürte, dass ihre Beine einschliefen, und streckte sie in dem engen Bootsraum aus, so gut sie konnte. Sie wollte Marie nicht wecken, der es gelungen war einzuschlafen. Argwöhnisch betrachtete sie ihre neuen Schuhe. Es waren makizins , ein Geschenk der Frau, die sie vorhin empfangen hatte. Munro hatte sie ihr als seine Ehefrau vorgestellt: Angélique Mikwanikwe. Isabelle hatte die Gabe mit einem höflichen Lächeln entgegengenommen. »Mit diesen makizins läufst du, anders als in deinen Schuhen mit den Holzabsätzen, nicht Gefahr, die Rinde zu zerreißen, aus denen die Kanus gefertigt sind«, hatte Alexander erklärt und darauf bestanden, dass sie die Mokassins sofort anzog.
Gabriel konnte sich an all dem Neuen nicht sattsehen und plapperte ohne Unterlass. Mit einem Fernrohr ausgerüstet, betrachtete der kleine »Kapitän« unter dem aufmerksamen Blick seines Vaters das Ufer, das sie passierten. Beharrlich stellte er Fragen: »Was ist das? Eine Ente oder ein Wasse’huhn? … Gibt es in den Wälde’n Kühe? Dahinten sehe ich nämlich eine.… Wann sind wi’ da? … Ist es noch weit zu Eu’em Do’f? … Wohnen do’t viele Kinde’? … Ich hoffe, Ih’ habt keinen Musikleh’e’ da … Haben die Hunde auch Junge?« Alexander war entzückt und versuchte ihm auf alles eine Antwort zu geben. Immer wieder musste er schallend lachen.
»Da! Da!«, schrie der Kleine plötzlich und versuchte aufzustehen.
Das Boot geriet ins Schaukeln, und Wasser schwappte herein. Dieses Mal runzelte Alexander die Stirn.
»Setzen!«, schimpfte er.
»Aber ich hab einen Vogel St’auß gesehen!«
»Hier gibt es keine Straußen, Gaby«, murmelte Isabelle.
»Abe’ wenn ich doch einen gesehen habe, Mama! Da! Schau doch, de’ lange Hals und die g’oßen Füße! Genau wie in meinem Tie’buch! Vielleicht gibt es hie’ auch Löwen und Elefanten!«
Lautes Gelächter erschütterte das Boot. Endlich konnte Alexander wieder sprechen.
»Ich weiß nicht, was du einen ›Vogel Strauß‹ nennst, mein Junge, aber ich kann dir versichern, dass es in diesem Land ganz bestimmt keine Elefanten oder Löwen gibt.«
»St’außen sind g’oße
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