Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
sie dir hilft.«
»Danke«, brachte Isabelle, von Schluchzen geschüttelt, heraus.
In den dichten Wäldern tat sich eine Lichtung auf. Endlich würden sie den Ort erreichen, an dem sie jetzt leben würden. Als sie ein Dickicht aus jungen Schwarzweiden umrundeten, erblickte sie ein halb gerodetes Areal, das mit verkohlten Baumstümpfen und Haufen von grauen Steinen übersät war. Ganz am Ende der in die schwarze Erde gezogenen Ackerfurchen stand eine Blockhütte mit zwei Fenstern und einer durch einen kleinen Vorbau geschützten Tür. In der Mitte des mit moosbewachsenen Schindeln gedeckten Daches erhob sich ein aus Stein gemauerter Kamin.
»Mama! Mama! Sieh doch, da!«
Gabriel wies mit dem Finger auf die Spitze eines Wigwams, das ein Dickicht von Essigbäumen überragte.
»We’den wi’ da d’in wohnen? Sag, wohnen wir do’t?«
»Ich fürchte, deine Mutter wird das Holzhaus bevorzugen, a bhalaich «, gab Alexander zurück und ging auf die Hütte zu.
Noch in dem Schrecken gefangen, mit dem sie der Anblick ihres neuen »Hauses« erfüllt hatte, krallte Isabelle krampfartig die Hände in ihre schlammüberzogenen Röcke und widerstand dem Drang, zu flüchten und schnurstracks nach Montréal zurückzukehren. Als sie eine Mücke erschlug, die sich auf ihren Hals gesetzt hatte, und ihrem Sohn zusah, der wie ein ausgelassener Welpe um Alexander herumsprang, drangen widerstreitende Gefühle auf sie ein. Auf der einen Seite beneidete sie Gabriel um seine Freude, die sie nicht teilen konnte. Doch auf der anderen machte es sie glücklich, dass Vater und Sohn sich so rasch anfreundeten.
»Was man nicht alles aus Liebe tut …«, murrte sie und ging mit zögernden Schritten weiter.
Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Im Grunde ihres Herzens wusste sie genau, dass Alexander ihr nicht das Gleiche bieten konnte wie Pierre. Als sie das Haus erreichte, wo ihr der Mann, für den sie alles aufgegeben hatte, die Tür aufhielt, holte sie tief Luft und trat ein.
Alexander empfing sie mit einem Lächeln, das beruhigend wirken sollte, aber rasch verflog. Er setzte seine Traglast an der Tür ab und wartete.
Gabriel war losgelaufen, um sich das Indianerzelt anzuschauen, sodass es still war. Nur ein aufreizendes Tropfen von Wasser hallte in den frisch geweißten Wänden des einzigen Raums wider. Unsicher sah sich Isabelle um. Die Kochgerätschaften am Kamin waren sehr einfach. Die Küchenecke war mit einem wackligen Tisch, zwei langen Bänken sowie ein paar Regalbrettern an den Wänden möbliert. Auf der anderen Seite des Kamins bildete ein großes Bett mit einer mit trockenem Laub ausgestopften Matratze, die mit einem Laken aus Drillichstoff bedeckt war, das »Schlafzimmer«. Mit einem Mal fühlte sie sich verlegen: Sie hatte noch gar nicht richtig darüber nachgedacht, wie Alexander und sie als Mann und Frau zusammenleben würden. Sie runzelte die Stirn.
»Ich werde anderswo schlafen«, beeilte sich der Schotte zu erklären. Er war enttäuscht über die Reaktion der Frau, die er so gern umarmt hätte.
»Und Marie?«
»Ich baue ihr bis zum Abend ein Bett. Du brauchst mir nur zu sagen, wo ich es aufstellen soll.«
»Gut … Und der Rest meines Gepäcks?«
»Wir gehen sofort zurück und holen es.«
Ohne ihn anzusehen, trat sie kopfschüttelnd an das Bett und strich sorgfältig ihr völlig verschmutztes Kleid glatt. Als sie auf ihre nassen, schlammverkrusteten Füße hinuntersah, spürte sie eine unendliche Mattigkeit in sich aufsteigen und hätte am liebsten geweint.
»Ich … ich muss mich ausruhen.«
»Ja …«
Alexander ging zur Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen und wandte sich mit betrübter Miene zu ihr um.
»Ich weiß, Isabelle. Es ist alles … sehr einfach.«
»Einfach ist es allerdings, das kann man wohl sagen!«, gab sie zurück.
Alexander hüstelte und trommelte mit den Fingern auf seine Schenkel. Hätte er sie bezüglich ihrer Lebensbedingungen vorwarnen sollen? Sie hatte ihm keine Fragen gestellt, daher hatte er angenommen, dass sie sich eine Vorstellung davon machen konnte. Doch offenbar hatte er sich geirrt.
»Das ist nur vorübergehend … Ich meine… So bald wie möglich werde ich Verbesserungen vornehmen.«
Isabelle ließ sich ohne eine Antwort auf das Bett fallen und streckte sich aus. Pochenden Herzens sah Alexander sie an und dachte an das Mädchen zurück, das sich eines Tages im Lazarett über ihn gebeugt und ihn in seinen Bann geschlagen hatte. Trotz des schmutzigen schwarzen
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