Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Kleides, der schlammverkrusteten Mokassins und der schief sitzenden Haube, unter der tropfnasse blonde Strähnen hervorlugten, fand er sie immer noch so wunderschön wie bei ihrer ersten Begegnung.
Er ging hinaus, sah nach, wo sein Sohn war und warf einen Blick zum Dach, um festzustellen, wo das Wasser durchsickerte: Darum musste er sich rasch kümmern. Dann ging er noch einmal zu den Kanus, um den Rest des Gepäcks zu holen. Ihm kam der erschreckende Gedanke, dass er Isabelle bei seiner Rückkehr vielleicht nicht mehr vorfinden würde. Bestimmt konnte sie es nicht abwarten, wieder nach Hause zu fahren, in die Bequemlichkeit und Sicherheit ihres schönen Hauses in Montréal. Er hätte ihr etwas Besseres bieten können, aber er hatte sich geschworen, das Gold des Hollandais’ unter keinen Umständen anzurühren. Dieser Schatz gehörte ihm nicht und konnte ihm nur Unglück bringen. Aber die Vorstellung war derart verführerisch. Würde er es schaffen, sein Versprechen nicht zu brechen und Isabelle trotzdem zu halten?
Als Isabelle die Augen aufschlug, lag der Raum im Halbdunkel. Ein schwaches Licht warf Schatten an die Wände: In dem Kamin in der Mitte des Zimmers brannte Feuer. Noch ganz verschlafen stützte Isabelle sich auf einen Ellbogen hoch. Gleichzeitig brachte ihr Magen sich unzufrieden in Erinnerung. Wie lange hatte sie geschlafen? Sie musste Louisette bitten …
»Oh, Herr im Himmel!«
Als ihr plötzlich aufging, wo sie sich befand, ließ sie sich auf das Lager zurücksinken. Von draußen klangen gedämpfte Männerstimmen zu ihr hinein, und ein köstlicher Duft nach gebratenem Fleisch und Harz stieg ihr in die Nase. Sie konzentrierte sich auf die Gerüche ihrer neuen Umgebung und versuchte sich Mut zu machen. Aber eine Mücke surrte an ihrem Ohr und erweckte ihre Ängste von neuem. Stöhnend zerquetschte sie das Tier auf ihrer Wange.
Vielleicht kann ich Alexander überreden, in die Stadt zu ziehen … Natürlich würden wir uns etwas anderes suchen als Pierres Haus …
Wieder rückte sie herum. Die Röcke klebten an ihren Schenkeln. Sie hatte einen Fehler begangen, indem sie mit Alexander gegangen war. Mit geschlossenen Augen ließ sie die strohgelben Wände ihres Schlafzimmers vor sich erstehen, ihr Bett, das Louisette für den Sommer mit indischen Stoffen geschmückt hatte … Dann hörte sie Maries Glucksen und Gabriels lautes Lachen: Die beiden schienen sich gut zu unterhalten. Verdrossen presste sie die Lippen zusammen.
Nein, Alexander wird nie bereit sein, nach Montréal zu gehen. Außerdem könnte ich mich gar nicht öffentlich mit ihm zeigen … Vielleicht können wir ja mit dem Geld, über das ich verfüge, diese … Baracke besser einrichten! Oder … Nein, Alex wird sich weigern. Er ist zu stolz, um sich von einer Frau aushalten zu lassen.
Draußen herrschte eine fröhliche Stimmung, während sie hier lag und sich selbst leidttat. Der Bratenduft weckte ihren Appetit, und sie setzte sich entschlossen auf.
Soll ich etwa hier sitzen und mein Schicksal beklagen, während die Menschen, die ich gezwungen habe, es zu teilen, sich prächtig unterhalten?
Sie sprang aus dem Bett und stellte fest, dass Maries Lager fertig war und jemand ihr Gepäck in einer Ecke ordentlich aufgestapelt hatte. Am besten, sie zog sich um und wusch sich ein wenig, damit sie präsentabler aussah. Gerade kramte sie in einer Kiste, als sich knarrend die Tür öffnete. Eine kleine Gestalt hob sich vor dem Hintergrund der grauen Landschaft ab.
»Bist du wach, Mama?«
»Ja, Gabriel. Hast du etwas gegessen?«
»Ja. Monsieur Alexande’ hat ein komisches Tie’ … Tierrr geb’aten.«
»Ach ja? Und was für eines?«
»Bibe’.«
»Biber? Aber wir haben Freitag, da isst man kein Fleisch!«
Der Kleine zuckte die Achseln, kam strahlend und mit leuchtenden Augen auf sie zu und zog einen Margeritenstrauß hinter seinem Rücken hervor.
»Fü’ dich, Mama. Am Ende des Feldes, bei den Apfelbäumen, wachsen ganz viele. Ich habe Schmette’linge und Flede’mäuse gesehen. Und G’illen gibt es auch. Kannst du sie hö’en? Sie singen, um uns willkommen zu heißen.«
»Das ist sehr nett, mein Schatz. Aber die Grillen würden auch zirpen, wenn wir nicht hier wären.«
»Monsieur Alexande’ hat das gesagt.«
Gabriel trat von einem Fuß auf den anderen. Laute Stimmen und das Kläffen von Hunden ließen sich vernehmen.
»Ach ja? Und was hat Monsieur Alexander dir sonst noch erzählt?«
»Dass e’ uns nach
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