Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Worte …«
»Pssst!«
Sanft legte Isabelle einen Finger auf Alexanders Lippen. Sie wollte nichts mehr hören, wollte das Gefühl dieses Augenblicks schweigend auskosten. Warum sich dagegen wehren? Die Liebe war da, ließ sie erbeben und pulsieren. Schmetterlinge flatterten in ihrem Leib. Sie spürte es, und er ebenfalls. Eine süße Arie erklang in ihrem Kopf, ließ wie durch Zauber alle Knoten in ihrem Herzen aufspringen und zerstreute allen Groll und alle Bitterkeit. Sie reinigte ihre Seele und läuterte ihren Geist.
Wie magnetisch angezogen fanden ihre Lippen zueinander und streiften sich. Sie trockneten die Tränen und vertrieben ihre Qualen. Begierig bemächtigten sie sich einander. Fordernd ließen sie alle Worte verstummen. Gemeinsam kosteten sie ihr neu gefundenes Glück.
»Mama?«
Mit einem Mal war die Musik fort und die Schmetterlinge flohen.
»Aaah!«
Brüsk rückte sie von Alexander weg, nahm die Decke und zog sie verlegen bis zum Hals hoch.
»Herrgott, Gaby! Was hast du da zu suchen? Kannst du nicht anklopfen, bevor du hereinkommst? Wo sind nur deine Manieren geblieben?«
Der Kleine sah zuerst seine Mutter und dann Monsieur Alexander aus weit aufgerissenen Augen neugierig an. Er wusste, dass es nicht höflich war, Erwachsene zu unterbrechen, wenn sie sich unterhielten … oder etwas anderes taten. Das hatte er eines Tages gelernt, als er ohne Vorankündigung ins Zimmer seiner Eltern gestürmt war und seinen Vater dabei angetroffen hatte, wie er unter den Röcken seiner Mutter nach einer Krawattennadel suchte. Was für ein komischer Platz, um eine Krawattennadel zu verlieren! Aber das war nun einmal die Erklärung, die sein Papa Pierre ihm gegeben hatte. Merkwürdigerweise hatte an jenem Tag das Gesicht seines Papas den gleichen dunklen Rotton angenommen wie das von Monsieur Alexander jetzt. Gabriel runzelte die Stirn. Hatte er ebenfalls eine Krawattennadel verloren? Aber die Männer hier trugen doch gar keine Krawatten. Der Knabe schlug die Augen nieder.
»Ich habe geklopft.«
»Dann … habe ich es nicht gehört. Also … was gibt es denn nun so Eiliges?«
Isabelle war schamrot geworden.
»Mun’o schickt mich … Ich soll euch sagen, dass es Mikwanikwe gut geht und das Kind ein Junge ist. E’ wollte auch wissen … ob sich Monsieur Alexande’ gut fühlt.«
»Ob sich Alex gut fühlt? Natürlich geht es ihm gut!«
Isabelle war so verlegen, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Alexander konnte sich nicht mehr zurückhalten und lachte laut heraus. Ein paar Minuten später, und Gabriel hätte sie in einer noch… interessanteren Lage angetroffen!
»Sag Munro, ich komme gleich.«
Der kleine Junge wusste nicht, was er von dem Ganzen halten sollte und biss sich nachdenklich auf die Lippen. Er warf Alexander einen verstohlenen Blick zu.
»Best’afst du mich jetzt wiede’?«
Alexander erstickte fast. Er räusperte sich und antwortete ihm in ernstem Ton.
»Ein Mal ist genug, wenn du deine Lektion gelernt hast.«
»Das habe ich. Ich schwö’e, ich we’de nie wiede’ ungeho’sam sein!«
»Schwöre lieber nicht, mein Junge. So etwas wird bestimmt wieder vorkommen. Du bist schließlich noch ein Kind. Aber vergiss nicht, dass es einen Unterschied macht, ob man irgendwo hereinplatzt, oder ob man eine Überschwemmung verursacht.«
Alexander zauste dem Kleinen das Haar. Seine blauen Augen, in denen das schlechte Gewissen geschrieben stand, sahen ihn durchdringend an. Diese Augen … sein Sohn. Ein Macdonald. In seinen Adern floss sein Blut. Mit einem Mal überkam ihn der Drang, das vor aller Welt laut zu verkünden. Das war sein Junge, und er würde einmal seinen Namen tragen.
»Hast du mich denn noch lieb, obwohl ich so etwas Schlimmes getan habe?«
Alexander öffnete den Mund … doch er war so gerührt, dass er keinen Ton herausbrachte. Er krallte die Finger in das Laken, das er in einem Reflex hochgezogen hatte, um die Wölbung in seiner Hose zu verbergen, stieß einen erstickten Laut aus und nickte. Der Kleine war außer sich vor Freude und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das seine zwei neuen Schneidezähne enthüllte und Grübchen in seinen Wangen auftauchen ließ. Dann war er in einem Wirbel feuerroter Locken verschwunden.
»Gaby! Dein Finger!«
Der Junge zog den beanstandeten Finger aus der Nase und steckte ihn in die Tasche, wo er eine ausgetrocknete tote Heuschrecke betastete.
»Iss deine Suppe auf, dann darfst du weiter Mais abschälen… Doch
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