Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
nicht austrinken, nimm den Löffel! Du vergisst deine guten Manieren, Gabriel!«
»Monsieur Alexande’ hat auch keine, und ihn schimpfst du nicht die ganze Zeit aus!«
Sprachlos wandte Isabelle sich zu Alexander um, der den Kopf gesenkt hielt, um nicht zu lachen.
»Das liegt sicher daran … dass seine Mutter ihn nicht oft genug gescholten hat.«
»Doch, meine Mutter hat mich wegen meiner Manieren getadelt«, schaltete sich der Schotte ein und bemühte sich, seinen Löffel richtig zu gebrauchen. »Ich habe sogar eines Tages die Suppenkelle auf den Hinterkopf bekommen, weil ich direkt aus der Schale getrunken habe. Meine Mutter stammte aus einer Familie, in der gute Umgangsformen selbstverständlich waren. Sie war die Tochter eines Clan-Chiefs.«
»Dann erkläre uns doch einmal, warum du keine guten Manieren besitzt, Sir !«, verlangte Isabelle zu wissen und sah ihn spöttisch und neugierig zugleich an.
»Das liegt an den Bohnen.«
»Bohnen?«, wiederholte Gabriel und zog die Nase kraus.
»Kennst du den Trick mit den Bohnen nicht?«
»Nein, wie geht de’?«
Alexander winkte Gabriel zu sich heran. Der Kleine warf seiner Mutter einen Blick zu.
»Du steckst sie dir in die Ohren, dann hörst du die Vorhaltungen deiner Mutter nicht mehr.«
»Alex!«, ereiferte sich Isabelle und drohte ihm mit der Suppenkelle. »Erzähl ihm nicht solchen Unsinn! Und du, mein Junge, sei gewarnt: Wenn ich dich auch nur ein Mal mit Bohnen erwische, schneide ich dir die Ohren ab und gebe sie in deine Suppe.«
»Au!«
Gabriel lachte und wendete sich wieder Alexander zu.
»Stecken sich alle schottischen Kinde’ Bohnen in die Oh’en?«
»Nein, nur die aus meinem Clan.«
»Was ist das, ein Clan? So etwas Ähnliches wie ein Indiane’stamm?«
Alexander tunkte ein Stück Brot in seine Suppe.
»Nicht ganz. In Schottland ist ein Clan so etwas wie eine große Familie, in der alle den gleichen Namen tragen. Meine Mutter gehörte dem Clan der Campbells von Glenlyon an.«
»Und dein Vate’?«
»Den Macdonalds von Glencoe.«
»Das ist ja wie bei den Cha’tiers de Lotbinière oder den Saint-Lucs de La Co’ne! Du bist ein Edelmann, Monsieur Alexande’!«
»Hmmm … nicht ganz. Verstehst du, Gabriel, in Schottland gibt es so viele Alexander Macdonalds, John Campbells, Robert Macgregors oder Angus Mackenzies, dass man, um sie nicht zu verwechseln, stets den Namen des Dorfes oder der Gegend, aus denen sie stammen, hinzusetzt.«
»Dann bist du nicht von Adel?«
Enttäuscht verzog der Knabe den Mund.
»Adel ist vor allem eine Eigenschaft des Herzens, Gaby«, bemerkte Isabelle, die den Tisch abräumte. »Titel kann man kaufen, Ehre jedoch nicht …«
Lächelnd warf sie Alexander einen Blick zu und wandte sich dann dem Korb voller Mais zu, der an der Tür stand.
»Auf geht’s! Wenn wir vor dem Abend die Ernte, die uns Gott erhalten hat, kosten wollen, haben wir noch eine Menge Arbeit vor uns!«
Die Überschwemmung hatte mehr Schrecken verbreitet als wirklichen Schaden angerichtet. Nur ein kleiner Teil des Feldes war vom Wasser weggerissen worden, und die meisten Maispflanzen hatten sie bergen können. Im strahlenden Sonnenschein, der die letzten Wasserpfützen trocknete, widmeten sich alle eifrig den Festvorbereitungen.
Alexander, Isabelle und Gabriel saßen auf einem Steinhaufen, enthülsten die Kolben und lachten wie die Kinder. Sie wetteiferten darum, wer die meisten Maiskolben schälte. An diesem Nachmittag war die fröhliche Stimmung ansteckend. Munro, der auf dem Feld zusammen mit Mikwanikwe die Pflanzen ausriss, lachte laut und ohne Unterlass. Otemin gab sich große Mühe und betrachtete strahlend ihren neuen kleinen Bruder, der, bequem auf den Rücken seiner Mutter gebunden, schlief. Marie liebäugelte mit Francis und Stewart, die herumalberten, während sie die Kolben schälten.
»Weißt du, warum man Würmer auf den Angelhaken steckt?«, wollte Alexander mit tiefernster Miene von Gabriel wissen.
»Nein.«
»Weil sie nicht schwatzen, wenn man sie mit zum Angeln nimmt!«
»Ich we’de nicht die ganze Zeit schwatzen!«, murrte Gabriel und warf einen abgeschälten Kolben auf den Haufen.
»Und ob! Du plapperst ja ohne Unterlass. Ganz bestimmt beißen deswegen die Fische lieber an Otemins Angelschnur an!«, neckte ihn seine Mutter zärtlich.
»Ich muss sie wi’klich f’agen, wie sie das macht! Und auße’dem wollte sie den Wu’m nicht auf meinen Angelhaken stecken. Ich hatte nämlich keine Lust
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