Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Mädchen.
Die Kleine begann, durch die Speichelbläschen, die sie hervorbrachte, zu brabbeln und verteilte freigebig ihr Lächeln. Ihre seidigen Locken, die in der Sonne schimmerten, wurden so lang, dass man sie um den Finger wickeln konnte. Coll schenkte ihr stets ein paar Minuten seiner Zeit und sang ihr Lieder aus seiner Heimat vor, die auch Madeleines Herz mit Frieden erfüllten. Das war inzwischen zum Abendritual geworden. So schlummerte die kleine Prinzessin ein und bedurfte ihres Hofstaats erst bei Sonnenaufgang wieder.
Madeleines Leben hatte sich durch dieses wunderbare kleine Wesen verändert. Doch jede Medaille hat zwei Seiten: Die Kleine war zwar Balsam für das Leid ihrer weiblichen Seele, aber zugleich war Anna ein Stachel in ihrem Herzen, denn sie würde sie unvermeidlich eines Tages hergeben müssen, und das schmerzte sie sehr.
Ein wenig betrübt gab Madeleine dem kleinen Mädchen zu trinken, dessen Fingerchen sich in ihr Umschlagtuch krallten und ihr den Hals zerkratzten. Mit einem Mal roch sie etwas Verbranntes und zuckte zusammen, als ihr einfiel, dass das Essen noch im Ofen war.
»Verflixt!«
Sie wischte das milchverschmierte Mündchen ab und drückte das Kind seinem Vater in den Arm, der gerade in den Raum trat. Dann stürzte sie zum Ofen. Gerade noch rechtzeitig! Um den alten Macdonald ein wenig aufzuheitern und zu feiern, dass die Schotten jetzt schon zwei Monate auf der Île d’Orléans lebten, hatte sie ein Essen auf Highland-Art zubereitet. Auf der Speisekarte standen eine Suppe mit Lauch und Zwiebeln, gewürzter Lammfuß, da sie keinen Schafsmagen für das berühmte, aber nicht besonders appetitliche Haggis hatte auftreiben können, im Ofen karamellisierte Zwiebeln und kleine Sandkuchen mit frischer Sahne. Zwei Bleche mit ihrer persönlichen Version von Scones waren leider nicht geraten.
»Wo wart Ihr, Coll Macdonald? Ich brauchte Holz für die Küche!«
Regungslos stand Coll da und beobachtete Madeleine, die sich bemühte, das qualmende Gebäck aus dem Ofen zu ziehen. Das Kind zappelte in seinen großen, zerschrammten Händen. Beißender Brandgeruch mischte sich unter den süßlichen Duft der gebackenen Zwiebeln. Verblüfft ließ er den Blick durch den Raum schweifen. Auf dem Tisch lag eine makellos weiße, hübsch bestickte Decke. Sein Vater saß in seiner Ecke und trug wie immer seine undeutbare Miene zur Schau. Doch seine Mundwinkel zuckten leicht, während er zusah, wie Madeleine zwischen dem Arbeitstisch und dem Büffet und dann zwischen dem Backofen und dem Herd hin- und hersprang. Was war hier los? Erwartete sie Gäste zum Abendessen?
»Ihr habt mir noch nicht geantwortet!«
»Ich habe einen Rundgang durch das Dorf gemacht.«
Anna hatte zu zappeln aufgehört und verzog das puterrot angelaufene Gesichtchen zu einer angestrengten Grimasse. Coll runzelte die Stirn. Er vermutete, dass Madeleine ihm eine Szene machen würde, weil er sie nicht über seine Abwesenheit unterrichtet hatte, und wartete auf das Gewitter, das jetzt kommen musste. Aber sie machte sich wortlos wieder an die Arbeit. Daher sprach er weiter, ohne seine Tochter aus den Augen zu lassen.
»Ich habe Arbeit gefunden.«
Madeleine hielt einen winzigen Moment lang inne. Sie schaute auf und sah aus dem Fenster, wo sich über den Baumwipfeln der Turm der Saint-Laurent-Kirche erhob. Dann nahm sie eine Kelle, um die Suppe umzurühren, damit sie nicht auf dem Topfboden ansetzte.
»Ach ja? Und wo?«
»Ähem … Ich habe mit dem Müller gesprochen, und er hat mir gesagt, einer seiner Kollegen könnte jemanden brauchen, der Mehl ausliefert. Einer seiner Männer hat sich vergangene Woche den Arm gebrochen.«
»Das ist gut! In der Mühle der Gosselins?«
»Nein …«
Anna grunzte, und ein merkwürdiger Ton drang aus ihren Windeln. Coll rümpfte die Nase. Ein unangenehmer Geruch stieg ihm entgegen.
»Es ist die Mühle in Vincennes.«
Die Kelle hielt mitten im Topf an. Anna stieß einen volltönenden Rülpser aus, und ein Milchrinnsal sickerte über ihr Kinn.
»Mo chreach!«
»Aber … ist das nicht auf dem Südufer? Ihr könnt nicht jeden Tag übersetzen … Da müsstet Ihr …«
»Aye! Ich weiß. Ein gewisser Antoine Guérette wäre bereit, mich aufzunehmen, bis ich dort eine Unterkunft finde.«
»Oh! Und wann fangt Ihr an?«
»In zwei Tagen.«
Ein zweiter Rülpser erklang, gefolgt von einem weiteren beunruhigenden Geräusch und schließlich einem zufriedenen Glucksen. Coll sah argwöhnisch auf seine
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