Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Frau dachte. Selbst nach all den Jahren vermisste er Marion noch schrecklich, zumal seine alten Knochen gerade jetzt die Sorge und die Zärtlichkeit einer Frau hätten gebrauchen können … Seit er Witwer geworden war, hatte er mehrere Geliebte gehabt. Eine von ihnen hatte sogar acht Jahre lang sein Leben geteilt. Doch nach Marion hatte er nie wieder jemandem sein Herz geschenkt … Er räusperte sich und versetzte seinem Sohn einen Stoß in den Rücken.
»Geh hinein zu deinem Freund. Vielleicht kann er uns ja auch mit deiner Tochter helfen …«
»Ich hoffe es, Vater. Sonst muss ich mich wirklich an die Nonnen wenden …«
Coll nickte und schob die Ladentür auf. Ein Glöckchen klingelte. Als er zehn Minuten später herauskam, wirkte seine Miene betrübt.
»War er nicht da?«, erkundigte sich Madeleine.
»Finlay arbeitet nicht mehr hier. Er hat … ähem … vor einem Monat seine Stelle gekündigt. Sein ehemaliger Dienstherr sagt, er wisse nicht, wo er ist.«
»Oh! Kennt Ihr noch jemand anderen in dieser Stadt?«
»Meinen Cousin Munro …«
»Euer Cousin ist zusammen mit Eurem Bruder Alexander fortgegangen und nicht zurückgekehrt… Jedenfalls habe ich ihn nie wiedergesehen.«
Coll seufzte lautstark, fuhr mit der Hand durch seinen dichten Haarschopf und schloss müde die Augen. Er dachte an diese Witwe, die ihm Französischstunden gegeben hatte; doch er sagte sich, es sei geschmacklos, einfach so mit Vater und Tochter bei einer ehemaligen Geliebten aufzutauchen.
»Ochone! Dinna have any choice . Da kann ich mich wohl nur noch an das Hospital wenden, damit die Nonnen sich um das Kind kümmern. Danke für Eure Hilfe.«
Er trat auf sie zu, um das Kind zu nehmen, das jetzt friedlich schlief. Unbewusst fasste Madeleine das Bündel fester, doch Colls Hände glitten unter die Decken und hoben die kleine Anna hoch. Madeleine stand mit leeren Armen da und spürte, wie ihr Herz schneller schlug.
»Tuch! Tuch! Mo nighean …«, flüsterte der Vater dem Säugling zu, der im Schlaf gestört worden war und leise wimmerte.
»Monsieur Macdonald?«
Coll, der den Kopf des kleinen Mädchens liebkoste, sah sie aus seinen blauen Augen an. Madeleine war gerührt. Sie konnte in diesem Mann nicht mehr den Soldaten sehen, dem sie während der Besatzung in den Straßen der Stadt stets aus dem Weg gegangen war. Er wirkte jetzt so … anders auf sie. So menschlich.
»Danke, Madam Madeleine.«
»Es … tut mir leid.«
Er zuckte die Achseln. Das Kind wirkte in seinen kräftigen Armen so winzig, dass sie den Eindruck hatte, er könne es erdrücken, ohne es überhaupt zu merken.
»Kann ich Euch vielleicht helfen, eine Unterkunft zu finden?«
»Wir kommen schon zurecht …«
Coll bedeutete seinem Vater, dass sie weitergehen würden. Ein letztes Mal drehte er sich zu Madeleine um und lächelte ihr zu. Doch in seinen Augen stand eine tiefe Trauer. Das Kind begann zu weinen. Er band sich die Stoffschlinge fest um den Hals, klopfte auf das kleine Hinterteil und murmelte beruhigende Worte in seiner eigentümlichen Sprache. Mit einem Mal spürte Madeleine das Bedürfnis, diese Worte zu hören und sie zu lernen, um sie Anna vorzusprechen, einem kleinen Mädchen, wie sie es nie haben würde.
Was ist denn nur mit mir los? Ich muss vollkommen verrückt sein! Dieser Mann hat der Armee angehört, die meinen Julien getötet hat! Das lange rote Haar des Schotten wogte in der warmen Brise des Junitages. Fast neun Jahre waren vergangen, immer ein Tag nach dem anderen, seit Wolfes Truppen auf der Insel gelandet waren … ihrer Insel … um sie anzuzünden und zu verwüsten. Drei Jahre hatte sie gebraucht, um wieder aufzubauen, was die Soldaten in wenigen Stunden vernichtet hatten. Und ihr Julien, der zu den Kämpfern gehört hatte, war nie zurückgekommen…
Sie hörte, wie das Weinen der Kleinen sich entfernte und die Truhe über das Pflaster schabte, und verzog das Gesicht. Das Herz tat ihr weh. Warum waren ihr ausgerechnet heute dieser Mann und dieses Kind über den Weg gelaufen? Die Sekunden verstrichen, und mehr und mehr überkam sie das Gefühl, einen Fehler zu machen, wenn sie die drei gehen ließ.
»Wartet! Wait! Wait! Ich habe… vielleicht einen Vorschlag.«
Sie rannte auf das Trio zu und konnte ihre Kühnheit selbst kaum fassen. Coll drehte sich um. Er wirkte so verzweifelt, dass er bestimmt einverstanden gewesen wäre, im Stall zu schlafen, wenn sie ihm das anbot.
»Mein Haus ist groß, und ich wohne ganz allein
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