Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Moment muss sie noch schlafen und essen, damit sie wächst. Und dann, später, lernt sie laufen und sprechen.«
»Und ihre Haare? Wann kriegt sie welche?«
»Aber sie hat doch schon viele, findest du nicht? Sie sind ganz kraus, so wie deine, als du gerade geboren warst.«
»Aber ich bin ein Junge. Mädchen haben lange Haare! Zabeth … na ja … sieht nicht wie ein Mädchen aus.«
»Findest du sie nicht hübsch?«
Einen Moment lang schwieg Gabriel.
»Sie ist ganz runzlig und hat einen dicken Kopf.«
»Sie ist eben ein Säugling. Weißt du noch, wie es bei Duglas war? Bei seiner Geburt sah er auch so aus, und nun schau, wie er sich verändert hat! Er wird immer größer, genau wie du.«
»Hmmm …«
Der Kleine zuckte die Achseln und machte sich wieder auf den Weg. Isabelle hob ihre Schaufel auf, sah ihm zärtlich nach und machte sich wieder an die Arbeit. Nachdem sie mit dem Lauch fertig war, nahm sie das Gewehr und ging zur Hütte zurück.
»… dein Herz lacht und meines möchte weinen …«, summte Isabelle und schälte ihre dritte Zwiebel. »Ich habe meinen Liebsten verloren und hab’s doch nicht verdient …«
Beim Duft des Brots lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Die Männer hatten im Frühsommer hinter der Hütte einen Backofen gebaut. So konnten sie etwas anderes als das Fladenbrot der Indianer oder Pfannkuchen herstellen. Sie legte ihr Messer weg, wischte sich die Hände an der Schürze ab und schniefte. Dann schloss sie die Augen, um das Brennen in ihren Augen zu lindern.
»Ich hasse Zwiebelschälen!«, murrte sie und schaute auf Alexanders Uhr, die auf dem Küchentisch lag. »Das Brot müsste eigentlich fertig sein.«
Ehe sie die Laibe herausnahm, beugte sie sich noch über die Wiege, in der ihre kleine Élisabeth schlief.
»Weißt du, dass du wie ein Engel aussiehst, wenn du schläfst?«
Isabelle bewunderte das krause Haar der Kleinen und dachte an ihre Geburt zurück. Gabriel hatte sich geradezu in ihr festgeklammert und ihr ein Martyrium bereitet; Élisabeth dagegen hatte es offenbar nicht abwarten können, die Welt und ihre Wunder zu erforschen. Die ersten Wehen hatte Isabelle bei einem Spaziergang am Teich, bei dem die Kinder Kaulquappen gesammelt hatten, verspürt. Bis sie Mikwanikwes Hütte, die näher als ihre eigene lag, erreicht hatte, war das Fruchtwasser abgegangen. Und vier Stunden später war die Kleine schon auf der Welt gewesen und hatte geschrien.
»Hmmm … Ich kann mir schon vorstellen, was dieses hübsche kleine Köpfchen alles aushecken wird! Mit dir werde ich sicher allerhand zu tun bekommen!«
Die Tür flog auf, und Alexanders hochgewachsene Gestalt stand in dem einfallenden Licht. Isabelle stürzte zu ihm.
»Ah, ihr seid schon von der Mission zurück! Was ist denn das?«
Alexander hielt ihr ein dickes, in Wachstuch gewickeltes Paket hin und lächelte mit merkwürdiger Miene.
»Lauter Kostbarkeiten!«
»Kostbarkeiten?«
Verblüfft, aber erfreut betastete sie das Paket.
»Vorsicht, du zerdrückst noch etwas! Darin sind Butter, Zucker, Zimt …«
»Oh, Butter! Und das hier? Fühlt sich hart an, fast wie ein Flaschenhals …«
»Ich habe eine Flasche Wein für uns aufgetrieben.«
»Einen Bordeaux?«
»Nein, keinen französischen Wein, a ghràidh , aber einen spanischen, über den ich gehört habe, er sei so göttlich wie ein Kuss von Émeline.«
»Ein Kuss von Émeline?«
Mit spöttischer Miene beugte sich Alexander zu seiner Gefährtin hinunter.
»Nun ja, ich kann nur wiedergeben, was man mir gesagt hat! Und nachdem ich die fragliche Émeline gesehen habe … Allerdings bin ich mir sicher, dass ihre Küsse keinen Vergleich mit deinen aushalten …«
Er umarmte sie zärtlich, trat dann ein Stück zurück und sog die duftende Luft ein.
»Was bäckst du denn da Gutes?«
»Brot«, gab sie zurück, während sie das Paket auspackte. »Gerade hatte ich Lust bekommen, in ein dick mit Butter beschmiertes Brot zu beißen!«
Sie nahm das kleine Stück Butter heraus und berührte es so ehrfürchtig wie einen Barren puren Goldes. Als Alexander sah, wie ihr Gesicht aufleuchtete, fiel ihm wieder ein, dass Isabelle sich wie ein Kind über eine Kleinigkeit freuen konnte … Nun ja, eine Kleinigkeit war ein Stück Butter auch wieder nicht.
Anders, als er befürchtet hatte, war das unschuldige Herz, das er einst in Québec kennengelernt hatte, nicht durch den Luxus verdorben worden. Die Prüfungen des Lebens hatten Isabelle reifer gemacht, aber nicht
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