Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Möglichkeit, das herauszufinden.
Er lag bäuchlings unter den tief hängenden Zweigen einer großen Kiefer und beobachtete die Gruppe, die inzwischen an Land gegangen war. Es waren sechs Männer mit einem einzigen Kanu. Das Boot lag umgekehrt auf dem Sandufer. Zwei Männer besserten es aus, während die anderen auf Ballen saßen oder auf dem Boden lagen und faulenzten. Alexander zog die Augen zusammen und versuchte unter den Gesichtern Étienne auszumachen, als er hinter sich ein metallisches Schnappen vernahm. Kalt lief es ihm über den Rücken, und seine Finger krampften sich um seinen Dolch. Er wollte die Klinge ziehen, aber ein zweites Klicken ließ ihn erstarren.
»Wenn ich du wäre, würde ich das schön bleiben lassen! Leg deine Waffe weg, und sei artig, mein Freund!«
Alexander war überrumpelt. Er rührte sich nicht und sagte kein Wort. Ein Paar alter, vielfach geflickter Mokassins tauchte vor seiner Nase auf. Einer davon trat auf die Klinge seines Dolchs. Alexander ließ die Waffe los, und der Fuß schob ihn beiseite.
»So ist es recht! Hey, le Chrétien! Such den Patron, und sag ihm, wir haben Gesellschaft!«
»Sofort!«
Zweige knackten; der zweite Mann entfernte sich.
»Leg die Hände flach auf den Boden!«
Alexander gehorchte. Der vertraute Geruch geschmolzenen Harzes stach ihm in die Nase, und die Stimmen der Männer am Strand hallten in seinen Ohren. Er war sich sicher, dass er nur noch Minuten zu leben hatte. Nach einer Zeit, die ihm ziemlich lang vorkam, näherten sich Stimmen. Da kam der Anführer der Gruppe. Bald würde alles vorbei sein. Kurz dachte er an Gabriel, Élisabeth und Isabelle und sah ihre Gesichter vor sich…
»Wer ist das?«
Der Akzent des Mannes verriet Alexander, dass er Schotte war. Merkwürdig, die Stimme kam ihm vage bekannt vor…
»Ich habe ihn nicht gefragt. Ich dachte, das wollt Ihr vielleicht selbst tun, Patron.«
»Hmmm …«
»Er hat uns beobachtet. Ich bin mir sicher, dass er uns bestehlen wollte.«
Kaltes Metall presste sich in Alexanders Kreuz und zwang ihn, sich flach auf den Boden zu legen. Die Stiefel des Anführers nahmen den Platz der Mokassins ein.
»Wie heißt du?«
»Vielleicht spricht er ja kein Französisch.«
»Durchsuch ihn!«
Alexander hielt den Blick auf seinen Dolch gerichtet, der nur eine Armeslänge entfernt war, und suchte in seinen Erinnerungen, um die Stimme des Anführers mit einem Gesicht zu verbinden. Doch vergeblich. Zwei Hände durchsuchten ihn, und er sah, wie der Inhalt seiner Schultertasche auf den Boden geleert wurde.
»Da ist nichts!«
Alexander sah sich nach seinem Gewehr um, von dem er wusste, dass es geladen war. Wenn er es nur in die Hand bekommen könnte… Endlich entdeckte er zu seiner Linken, im Gras, etwas Blitzendes: den Messingbeschlag des Kolbens. Er prägte sich die Lage der Waffe ein und überlegte, wie er es ergreifen könnte, um sofort zum Schuss zu kommen. Seine Erfolgsaussichten waren minimal. Aber er konnte sich nicht einfach mit dem Tod abfinden, ohne etwas zu unternehmen.
Neben ihm stand der Anführer und musterte seinen Gefangenen schweigend. Die Statur des Mannes, seine Haarfarbe kamen ihm vertraut vor… Ja, das war jemand, den er kannte … War es möglich, dass der Mann, auf den er die Waffe richtete … Sein Atem ging schneller. Er musste sich vergewissern.
Die Stiefel traten ein Stück nach rechts. Alexander schöpfte ein wenig Hoffnung. Die Augen immer noch auf seine Waffe gerichtet, spreizte er die Finger, streckte den linken Arm ein wenig aus und stemmte sich unmerklich hoch, damit er rascher vorschnellen konnte.
Der Anführer, der ihn beobachtete, musterte die Hand des Gefangenen: Ihm fehlte der kleine Finger! Aber man hatte ihm doch versichert, Alexander sei tot … Er musste falsch gesehen haben! Und doch… diese Hand, dieses Haar, das genauso dunkel war wie sein eigenes… Er spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte.
Das Schweigen zog sich in die Länge. Der Gewehrlauf, der in seinen Rücken stieß, wurde weggenommen. Alexander hörte, wie das Gras knisterte: Die Stiefel zogen sich zurück. Diese Möglichkeit musste er nutzen… Blitzschnell packte er sein Gewehr, wälzte sich herum, packte die Waffe fester und legte den Finger an den Abzug. Innerhalb einer Sekunde zogen der Himmel, das grelle Sonnenlicht, das zwischen dem Astwerk hindurchschien, und die Zweige der großen Kiefer, unter der er sich versteckt hatte, vor seinen Augen vorüber. Dann hatte er die Gestalt
Weitere Kostenlose Bücher