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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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verriet, dann war Étienne mit Sicherheit schon unterwegs. Vielleicht war er sogar schon dort. Nach dem Zustand der Leichen zu urteilen, war das Massaker etwa zwei Tage her gewesen, als er und Nonyacha das Dorf erreicht hatten.
    Jetzt bedauerte Alexander, dass er nicht eines der verlassenen Kanus genommen hatte, die am Ufer lagen. Aber er hatte die mehrtägige Wanderung nutzen wollen, um das Entsetzen zu verdauen. Doch in diesem Moment kam es ihm vor, als läge Red River Hill am anderen Ende der Welt! Er würde es nicht rechtzeitig erreichen… Er sah zum Himmel auf und betete.
    Trotz seiner fieberhaften Anstrengungen kam er in der Dunkelheit nicht schnell genug voran. Er suchte sich seinen Weg zwischen den Bäumen, die ihm wie die Gitterstäbe eines Kerkers vorkamen, und spürte, wie seine Beine vor Ermattung nachgaben. Nachdem er sich in den Büschen am Flussufer verheddert hatte, beschloss er, im Wasser zu gehen. Er rutschte aus und verletzte sich auf den Steinen. Aber seine Angst war so groß, dass er sich mit der Kraft der Verzweiflung vorankämpfte. Würde Étienne Isabelle und die Kinder angreifen? Er wusste gar nichts mehr und wagte nicht, sich die Tragödie vorzustellen.
    Seit Stunden rief die Eule, zumindest kam es ihm so vor. Seine Beine trugen ihn nicht mehr. Er ließ sich schwer ins Gras fallen. Seine Knie landeten im kalten Wasser, und der Griff seines Dolchs bohrte sich in seine Flanke, sodass er sich auf den Rücken wälzte. Bald verschwand der sternenübersäte Himmel hinter seinen zufallenden Lidern. Er musste anhalten… nur ein wenig … Als er in den Schlaf glitt, sah er sich auf einer riesigen Biene reiten, deren langer, spitzer Stachel einen Teufel mit Étienne Lacroix’ Zügen durchbohrte.
     
    Seine Zehen prickelten, und er bewegte sich. In seinem Traum befangen, stöhnte er. Er hatte immer noch den Eindruck, von etwas gebissen zu werden. Langsam hob er ein Augenlid und betrachtete seine Unterschenkel. Seltsamerweise dachte er zuerst an Mausefallen: Er musste welche auf dem Dachboden aufstellen. Ein Zwicken am großen Zeh ließ ihn hochfahren. Verstörten Blickes und keuchend sah er dem kleinen Fischschwarm nach, der vor der Welle, die er erzeugt hatte, flüchtete.
    Erst in diesem Moment wurde ihm klar, wo er sich befand. Seine Ängste überfielen ihn erneut, und er sah entsetzliche Bilder vor sich. Rasch stand er auf, trocknete seine tauben, aufgequollenen Füße ab und zog seine Mokassins an. Seine Beinlinge würden in der Sonne trocknen. Er durchwühlte seine Schultertasche und zog eines seiner letzten Stücke Trockenfleisch hervor, das er unterwegs essen konnte. Ergänzen würde er die magere Mahlzeit, indem er die Nüsse pflückte, die die Bewohner der Wälder ihm übriggelassen hatten.
    Als er sich wieder auf den Weg machte, ging im Osten, am Horizont, die Sonne auf. Er wanderte querfeldein, hielt sich aber an das Rauschen des Flusses, der seine einzige Wasserquelle und sein Wegweiser war. Er marschierte, kletterte über Hindernisse, glitt aus, sprang und strauchelte. Ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Red River Hill so rasch wie möglich zu erreichen. Er nahm sich keine Zeit zum Essen, sondern schob sich immer wieder im Gehen einen Bissen aus seinem Vorrat in den Mund. Gelegentlich riss er die Früchte von Ebereschen und Vogelkirschen ab oder hob ein paar Bucheckern und Eicheln vom Boden auf.
    Die Sonne war ebenfalls weitergezogen, allerdings auf ihn zu. Als ihre Wege sich kreuzten, befand er sich am Ufer eines Nebenflusses. Er nutzte die Gelegenheit, um seinen Wasserschlauch zu füllen, und hielt dann Ausschau nach einer Furt, um den Fluss zu überqueren. Er beugte sich über sein Spiegelbild, das furchterregend aussah, und warf den Lederschlauch ins Wasser. Ungeduldig wartete er darauf, dass er sich aufblähte, als laute Stimmen zu ihm drangen. Er hob den Kopf und lauschte.
    Alexander stand auf, ohne auf den Wasserschlauch zu achten, der auf seinen Füßen auslief. Die Stimmen kamen vom Grand Rivière. Er hörte Lachen und Plätschern. Dort, wo er sich befand, war der Fluss so breit und tief, dass er einige Zeit brauchen würde, um ihn zu durchschwimmen. Wenn die Kanus in der Mündung auftauchten, ehe er das andere Ufer erreichte, dann war es um ihn geschehen; jedenfalls wenn es sich um Lacroix und seine Männer handelte. Doch wenn das Voyageurs waren, die aus Montréal zurückkehrten, könnte er sie vielleicht bitten, ihn auf das Nordufer überzusetzen … Es gab nur eine

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