Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
wehren.«
»Deine Mutter soll sich also ganz allein über deine Gefühle hinweggesetzt haben? Aber warum hast du dann später nicht versucht, mich wiederzusehen und mir alles zu erklären? Wenn du dieses Schweigen gebrochen hättest, durch das du dich in meinen Augen schuldig gemacht hast, hätte ich deine Lage vielleicht verstanden. Wir hätten zusammen fliehen können, zum Beispiel in die englischen Kolonien oder sogar nach Schottland.«
Um die Wahrheit zu sagen, war dieser Gedanke auch Isabelle gekommen. Aber die junge Frau hatte wegen ihres Kindes Abstand davon genommen. Und dann war schließlich ihr verbissener Entschluss, Alexander zu hassen, stärker als ihre Gefühle gewesen. Betrübt sah sie den Schotten an.
»Was soll das jetzt, Alex? Du bist genauso stumm geblieben. Ich habe gehofft, du würdest zu mir kommen … vor allem, seit ich dich auf dem Ball gesehen habe …«
»Dem Ball?«
»Auf dem Frühlingsball beim Gouverneur. Ich weiß, dass du dort warst, Alex, ich habe dich gesehen.«
Er runzelte die Stirn. Wie hatte sie ihn auf einem Ball sehen können, bei dem er gar nicht gewesen war … War es möglich, dass sie John begegnet war? Hielt sich sein Zwillingsbruder etwa in Montréal auf?
»Warum hast du mir kein Lebenszeichen gegeben, Alex? Du brauchtest dich doch nur zu erkundigen, wo ich wohne, und …«
»Nicht ich war es, der zu dir kommen musste, denn nicht ich habe meinen Eid gebrochen, Isabelle. Aber es stimmt ja … was ist ein Eid wert, wenn er nicht auf Papier niedergelegt ist?«
»Was immer du auch denkst, Alex, ich habe meinen Eid nicht gebrochen! Ich stehe immer noch zu den Worten, die ich gesprochen habe!«
Skeptisch verzog Alexander die Mundwinkel.
»Du … du stehst zu ihnen? Tatsächlich? Und wie stellst du das an, während du im Bett eines anderen liegst?«, stieß er grollend hervor. »Erkläre es mir, denn ich kann dir nicht mehr folgen!«
»Ich habe nie jemand anderen als dich geliebt. In meinem Herzen wohnst du allein, für immer.«
»Das ist sehr tröstlich! Und sag mir, was soll ich jetzt mit dieser ›Liebe‹ anfangen?«
»Ich … ich …«
Um die Wahrheit zu sagen, wusste sie nicht, was sie ihm antworten sollte. Sie zuckte die Achseln. Wirklich, es war falsch gewesen, ihn wiederzusehen. Er wollte nichts von ihren Geständnissen wissen. Nichts! Sie wollte davonlaufen, aber er fasste ihren Arm und hielt sie grob zurück.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet, Isabelle«, knurrte er. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du von mir willst; warum du dich mit mir treffen wolltest.«
Schwer atmend schloss sie die Augen und lehnte sich an die Mauer.
»Ich weiß nicht, was ich dir darauf sagen soll, Alex. Ich weiß es nicht mehr. Wahrscheinlich hast du recht: Ich hätte nie versuchen sollen, dich wiederzusehen …«
Sie spürte, wie seine Finger sanft über ihre Wange strichen, den Umriss ihrer Lippen nachzogen und an ihrem Hals entlang zu ihrer Brust glitten, dorthin, wo eben noch sein zärtlicher Mund gelegen hatte. Sie drückte seine Hand auf ihr wild pochendes Herz und liebkoste den Stumpf, der von seinem amputierten Finger übrig war.
Nicht weit entfernt rumpelte ein Wagen heran. Dann, näher noch, ließen sich Kinderstimmen vernehmen. Als die kleinen Jungen die beiden sahen, kicherten sie und rannten dann weg. Alexander seufzte. Das war es also, dachte er bitter. Hierher hatten ihn seine übersteigerten Gefühle geführt, diese Augenblicke, die er einem Leben, das ganz anders als sein eigenes war, gestohlen hatte. Coll hatte es vorhergesehen: Dieses kleine Bürgermädchen würde ihm nie gehören. Aber er war blind vor Liebe gewesen und hatte nicht auf ihn gehört. Er hatte die zarten Seidenstoffe, die sie trug, nicht unter seinen Fingern gespürt ; er hatte das Glitzern ihres Gold- und Silberschmucks nicht wahrgenommen; nicht gerochen, wie kostbar ihr Parfüm war. Taub und blind für alles hatte er sich in seinen Wahn verrannt.
»Isabelle …«, murmelte er, »aus uns wäre ohnehin nichts geworden. Siehst du nicht, dass uns alles trennt? Die Welten, in denen wir leben, sind zu unterschiedlich, zu gegensätzlich. Du lebst im Überfluss, während ich mich mit ein paar Brosamen zufriedengeben muss … Hast du überhaupt eine Ahnung, was es bedeutet, Hunger zu haben? Natürlich nicht! Aber genau das ist mein Leben. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich schon alles gesehen habe … Mein Leben unterscheidet sich viel zu sehr von deinem! Oh,
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