Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
und streckte die Hand nach ihm aus.
Er sah sie an. Gott, wie schön sie war! Aber eine Beziehung zwischen ihnen konnte nur ein böses Ende nehmen. Wenn sie sich nicht irgendwann hassten, würden sie einander gleichgültig werden. So war es besser. Besser, sie lebte ihr eigenes Leben. Wenigstens würden sie schöne Erinnerungen an ihre Liebe bewahren, auch wenn das schwierig werden würde. Ihre Geschichte gehörte der Vergangenheit an.
Sanft nahm er ihre Hand und küsste sie. Dann verneigte er sich, schwenkte seinen Dreispitz, dass er über das Gras streifte, wandte sich ab und ging davon. Er hörte, wie sie nach ihm rief. Warum war er bereit gewesen, sie wiederzusehen? Ihr Treffen hatte ihm nur neue Qualen bereitet. Außerdem fand er es inzwischen lächerlich, dass er sich so kühl gegeben hatte, um sie zu verletzen. Eine Flut von Gefühlen stieg in ihm auf, und dieses Mal konnte er seine Tränen nicht zurückhalten. Er ließ sie über seine Wangen laufen und auf sein Hemd tropfen. Die feuchten Kiesel knirschten unter seinen Füßen wie die schlecht geölten Angeln einer Tür, die man hinter einem Teil seines Lebens verschließt.
»Beannachd leibh, mo chridh’ àghmhor …« Lebewohl, mein Herz voller Freude …
Wieder befand er sich allein auf seiner einsamen Irrfahrt.
In ihren Ohren dröhnte es. Als Isabelle die Hände hob, um das Geräusch zu vertreiben, erreichte sie nur, dass sie ein Schmerz durchfuhr. Sie stöhnte. Eine Hand legte sich sanft auf ihre Stirn. Sie nahm ihre Hände, löste sie aus ihrem Haar und legte sie vorsichtig über ihrer Brust auf die Bettdecke. Mühsam öffnete Isabelle die Augen. Pierre beugte sich über sie und schaute sie betrübt an.
»Was …?«
»Pssst! Ruht Euch aus, mein Engel …«
Der Notar legte einen Finger auf die blutleeren Lippen seiner Frau, damit sie schwieg. Aus ihren grüngoldenen Augen, die von tiefen Schatten umgeben waren, schaute sie ihn verstört an. Es hatte nur wenig gefehlt, so wenig …
Am Vortag war Isabelle in einem Zustand äußerster Aufregung nach Hause gekommen und hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sie hatte sich geweigert, jemanden zu sich zu lassen und nicht einmal den kleinen Gabriel sehen wollen, der den halben Abend geweint hatte, weil er seiner Mama nicht gute Nacht sagen durfte. Nachdem es Pierre gelungen war, seinen Sohn schlafen zu legen, war er zum Zimmer seiner Frau gegangen und hatte verlangt, dass sie ihm öffnete, doch vergeblich. Sie schrie ihm zu, er solle sie in Ruhe lassen. Währenddessen vernahm er zweimal ein Klirren von zerbrechendem Glas, und zweimal knallte eine Schranktür. Er hatte Marie gefragt, was sie denn so bestürzt haben könnte, aber das Hausmädchen war stumm geblieben. Sie hatte nur die Achseln gezuckt und war hinausgegangen. Ohnmächtig und besorgt hatte er darauf gewartet, dass Isabelle sich beruhigte, und sich unterdessen in sein Arbeitszimmer geflüchtet, um eine dringende Inventarliste aufzustellen.
Nach und nach war es im Haus Nacht geworden. Dem Notar fiel es schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Die Stille, die jetzt herrschte, kam ihm bleiern und beängstigend vor. Während er den Besitz des Ehepaars LeFrançois schätzte, grübelte er und versuchte, das merkwürdige, ungewöhnliche Verhalten seiner Frau zu verstehen… Schließlich kam ihm mit einem Mal ein Gedanke, bei dem ihm das Blut stockte: Sie hatte ihren einstigen Liebhaber wiedergesehen.
Verrückt vor Sorge war er zu Isabelles Zimmer gestürzt. Die Tür war abgeschlossen. Er lauschte: Immer noch war alles still. Da er sich vergewissern wollte, dass die junge Frau da war und es ihr gutging, beschloss er, seinen Dietrich zu benutzen.
»Isabelle?«
Ein übler Gestank nach Alkohol, in den sich etwas Beißenderes mischte, schlug ihm entgegen. Auf der Suche nach Isabelle ließ er den Blick durch den Raum schweifen, in dem ein unbeschreibliches Chaos herrschte: Kleider lagen auf dem Boden; der Frisiertisch war umgeworfen, und überall waren zerbrochene Flaschen und Schönheitsartikel verteilt. Der Duft des verschütteten Parfüms stieg ihm unangenehm in die Nase. All das sah Isabelle gar nicht ähnlich. Pierres Angst wuchs.
Er fand seine Frau schließlich in dem kleinen Bad, das neben dem Schlafzimmer lag. Im Nachthemd und mit zerzaustem Haar saß sie vor der kupfernen Badewanne, eine leere Flasche Tresterbranntwein neben sich. Ihr Hemd war mit Blut befleckt. Erschrocken nahm er sie hoch, um sie zum Bett zu tragen,
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