Highland-Saga Bd. 7 - Echo der Hoffnung
zu tun hatte, so war er offenbar sowohl vernünftig als auch vorsichtig.
Nun, Hal würde auf jeden Fall von Percy erfahren müssen. Vielleicht wusste er ja etwas über Amandine, oder er konnte es herausfinden; Hal hatte eine ganze Reihe von Freunden in Frankreich.
Der Gedanke an Dinge, von denen Hal erfahren musste, erinnerte ihn abrupt an Williams Brief, den er inmitten der Intrigen des Vormittags fast vergessen hatte. Bei diesem Gedanken atmete er tief durch. Nein. Das würde er seinem Bruder gegenüber nicht erwähnen, solange er noch keine Gelegenheit gehabt hatte, mit Dottie zu sprechen, und zwar unter vier Augen. Vielleicht gelang es ihm ja irgendwie, ein kurzes Wort mit ihr zu wechseln und sich für später zu verabreden.
Doch als Grey Argus House erreichte, stellte sich heraus, dass Dottie gar nicht zu Hause war.
»Sie ist bei einem von Miss Brierleys musikalischen Nachmittagen«, teilte ihm seine Schwägerin Minnie mit, als er sich höflich nach dem Wohlergehen seiner Nichte und Patentochter erkundigte. »Sie ist gern unter Menschen. Aber sie wird es bedauern, dich nicht angetroffen zu haben.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm strahlend einen Kuss. »Es ist schön, dich wiederzusehen, John.«
»Dich ebenfalls, Minnie«, gab er herzlich zurück. »Ist Hal zu Hause?«
Sie verdrehte vielsagend die Augen.
»Er ist schon seit einer Woche zu Hause, weil er Gicht hat. Noch eine Woche, und ich schütte ihm Gift in die Suppe.«
»Ah.« Das bestärkte ihn in seiner Entscheidung, Hal nichts von Williams Brief zu erzählen. Selbst wenn bei Hal alles zum Besten stand, erbebten gestandene Soldaten und erfahrene Politiker vor ihm; wenn er krank war … wahrscheinlich war das ja der Grund, warum Dottie so klug war, sich anderswo aufzuhalten.
Nun, es war ja ohnehin nicht so, als ob seine Neuigkeiten Hals Laune verbessern würden, dachte er. Doch er drückte die Tür zu Hals Studierzimmer mit
der gebotenen Vorsicht auf; Hal hatte schon öfter mit Gegenständen geworfen, wenn er gereizt war, und nichts reizte ihn mehr, als indisponiert zu sein.
Doch Hal war eingeschlafen. Er war in seinem Sessel vor dem Kamin zusammengesunken und hatte den verbundenen Fuß auf einen Hocker gelegt. Der Geruch einer beißenden Arznei hing in der Luft, kräftiger als die Gerüche nach brennendem Holz, geschmolzenem Talg und altem Brot. Ein Teller mit geronnener Suppe stand unberührt neben ihm auf einem Tablett. Vielleicht hatte Minnie ihre Drohung ja laut ausgesprochen, dachte Grey und lächelte. Abgesehen von ihm und seiner Mutter war Minnie wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der niemals Angst vor Hal hatte.
Er setzte sich lautlos hin und fragte sich, ob er Hal wecken sollte. Sein Bruder sah krank und müde aus, viel dünner als sonst – und Hal war ohnehin schon ein hagerer Mensch. Es war ihm unmöglich, nicht elegant auszusehen, selbst in einer Kniehose und einem alten Leinenhemd, barbeinig und in ein schäbiges Schultertuch gehüllt. Doch in seinem Gesicht sprachen die Falten eines Kämpferlebens Bände.
Greys Herz wurde von einer plötzlichen, unerwarteten Zärtlichkeit heimgesucht, und er fragte sich, ob er Hal wirklich mit seinen Neuigkeiten behelligen sollte. Andererseits konnte er es nicht riskieren, dass Hal unerwartet mit der Nachricht von Percys unpassender Wiederauferstehung konfrontiert wurde; er musste vorgewarnt werden.
Doch bevor er dazu kam, sich zu entscheiden, ob er wieder gehen und später zurückkommen sollte, öffnete Hal abrupt die Augen. Sie waren klar und wachsam, das gleiche Hellblau wie Greys Augen, und es war keine Spur von Schläfrigkeit oder Zerstreutheit darin zu sehen.
»Da bist du ja wieder«, sagte Hal und lächelte voller Zuneigung. »Gieß mir einen Brandy ein.«
»Minnie sagt, du hast Gicht«, sagte Grey mit einem Blick auf Hals Fuß. »Sagen die Quacksalber nicht, man soll bei Gicht nichts Starkes trinken?« Dennoch erhob er sich.
»Das tun sie«, sagte Hal. Er zog sich auf dem Sessel zum Sitzen hoch und verzerrte das Gesicht, weil sein Fuß bei der Bewegung schmerzte. »Aber so, wie du mich ansiehst, wirst du mir gleich etwas erzählen, das bedeutet, dass ich den Brandy brauchen werde. Bring am besten gleich den ganzen Dekanter mit.«
ER VERLIESS ARGUS HOUSE ERST EINIGE STUNDEN SPÄTER – NACHDEM ER Minnies Einladung, zum Abendessen zu bleiben, abgelehnt hatte -, und das Wetter hatte sich beträchtlich verschlechtert. Herbstkühle lag in der Luft; ein
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