Highland-Saga Bd. 7 - Echo der Hoffnung
böiger Wind kam auf, und er konnte Salz in der Luft schmecken – Spuren des Nebels, der von der See herantrieb. Es würde ein guter Abend werden, um daheim zu bleiben.
Minnie hatte sich dafür entschuldigt, ihm ihre Kutsche nicht anbieten zu können, weil Dottie damit zu ihrem nachmittäglichen Salon gefahren war. Er
hatte ihr versichert, dass er gern zu Fuß ging, weil es ihm beim Denken half. Genauso war es, doch das Rauschen des Windes, der ihm die Rockschöße aufklappte und seinen Hut davonzutragen drohte, lenkte ihn ständig ab, und schon begann er, der Kutsche nachzutrauern, als er just dieses Gefährt plötzlich sah. Es wartete in der Auffahrt eines der großen Häuser in der Nähe des Alexandra Gate, und die Pferde trugen Decken zum Schutz vor dem Wind.
Am Tor bog er in die Auffahrt ein und hörte jemanden »Onkel John!« rufen. Er spähte zum Haus, als auch schon seine Nichte Dottie – buchstäblich – wie ein Schiff unter vollen Segeln auf ihn zugerauscht kam. Sie trug eine pflaumenfarbige Seidenmantilla und einen zartrosa Umhang, den der Wind in ihrem Rücken alarmierend aufblähte. Allerdings kam sie obendrein derart schnell auf ihn zugejagt, dass er gezwungen war, sie mit offenen Armen aufzufangen, um sie zum Stehen zu bringen.
»Bist du noch Jungfrau?«, wollte er ohne Umschweife von ihr wissen.
Sie riss die Augen auf, befreite ohne jedes Zögern einen Arm und ohrfeigte ihn.
»Was?«, sagte sie.
»Entschuldigung. Das kam ein wenig abrupt, nicht wahr?« Er sah sich nach ihrer wartenden Kutsche um – und nach dem Fahrer, der dezent geradeaus blickte -, rief dem Fahrer zu, er solle warten, nahm sie beim Arm und wandte sie dem Park zu.
»Wohin gehen wir?«
»Nur ein bisschen spazieren. Ich muss dir ein paar Fragen stellen, die nicht für fremde Ohren bestimmt sind – da wirst du mir beipflichten, das versichere ich dir.«
Ihre Augen wurden noch größer, doch sie widersprach ihm nicht, sondern drückte nur die Hand auf ihr freches kleines Hütchen und begleitete ihn mit wehenden Röcken.
Das Wetter und die Passanten hinderten ihn daran, eine einzige der Fragen zu stellen, die er im Kopf hatte, bevor sie nicht tief in den Park vorgedrungen waren und sich auf einem mehr oder weniger verlassenen Weg wiederfanden, der durch einen kleinen Ziergarten mit immergrünen Büschen und Bäumen führte, die zu Figuren zurechtgestutzt waren.
Der Wind hatte vorerst nachgelassen, auch wenn sich der Himmel immer mehr verdunkelte. Dottie stellte sich in den Schutz eines grünen Löwen und sagte: »Onkel John. Was soll dieses Theater?«
Dottie hatte die Herbstfarben ihrer Mutter geerbt. Ihr Haar hatte die Farbe reifen Weizens, und ihre Wangen waren stets mit einer zarten Hagebuttenröte überzogen. Doch während Minnie ein hübsches, sanftes Gesicht hatte, war Dotties Gesicht mit dem feinen Knochenbau ihres Vaters unterlegt und mit seinen dunklen Wimpern verziert; ihre Schönheit hatte etwas Gefährliches an sich.
Dieser Hauch von Gefahr beherrschte nun den Blick, den sie auf ihren Onkel
richtete, und ihm kam der Gedanke, dass es vermutlich gar nicht so überraschend war, wenn Willie in sie verliebt war. Falls er es war.
»Ich habe einen Brief von William bekommen, in dem er andeutet, dass er sich … dir vielleicht nicht gerade aufgezwungen hat, sich aber doch … auf eine Weise verhalten hat, die sich eines Herrn nicht ziemt. Ist das wahr?«
Sie erschrak so unverhohlen, dass ihr der Mund aufklappte.
»Er hat dir was gesagt?«
Nun, das nahm ihm eine Last von der Seele. Sie war wohl doch noch Jungfrau, und er brauchte William nicht nach China zu verschiffen, um ihn vor ihren Brüdern zu verstecken.
»Es war, wie ich schon sagte, eine Andeutung. Er hat mir keine Details geliefert. Komm, gehen wir weiter, bevor wir erfrieren.« Er nahm sie beim Arm und geleitete sie über einen Weg, der zu einem kleinen Kapellchen führte. Hier suchten sie Schutz im Vorraum, auf den ein Buntglasfenster der heiligen Barbara niederblickte, die ihre abgetrennten Brüste auf einem Servierteller trug. Grey tat so, als betrachtete er dieses erbauliche Bild, um Dottie einen Moment Zeit zu geben, um ihre vom Winde verwehten Kleider zu ordnen – und zu entscheiden, was sie ihm erzählen würde.
»Nun«, begann sie und wandte sich mit erhobenem Kinn zu ihm um, »es stimmt, dass wir – nun ja, dass ich zugelassen habe, dass er mich küsst.«
»Oh? Wo denn? Ich meine …«, fügte er hastig hinzu, als er ihren schockierten
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