Highland-Saga Bd. 7 - Echo der Hoffnung
schwarz geworden, und er hatte die Stimme fast ganz verloren – starke Gefühle nahmen ihm buchstäblich den Atem und lähmten ihm die Luftröhre. Doch sie hatte mit voller Absicht gehandelt. Sie wusste, wo Rogers Schwächen lagen – genau wie er wusste, wo die ihren lagen.
Ihre Lippen pressten sich zusammen, doch genau in diesem Moment berührten ihre Finger einen harten Gegenstand in der Innentasche ihrer Jacke. Eine alte Muschelschale, spitz und glatt, von Sonne und Wetter weiß gewaschen. Roger hatte sie am Loch Ness aus dem Uferkies gefischt und sie ihr gegeben.
»Darin kannst du wohnen«, hatte er gesagt. Er hatte zwar gelächelt, aber die
Schroffheit seiner wunden Stimme hatte ihn verraten. »Wenn du mal ein Versteck brauchst.«
Sie schloss die Finger sanft um das Schneckenhaus und seufzte.
Roger war nicht kleinlich. Niemals. Er würde sich nicht nach Oxford davonmachen – nach England! , dachte sie, und bei der Erinnerung an Annies Entrüstung stieg ein Bläschen der Belustigung in ihr auf -, nur damit sie sich Sorgen machte.
Er war also aus einem bestimmten Grund gefahren, zweifellos ausgelöst durch ihren Streit – was ihr nun doch ein wenig Sorgen machte.
Seit ihrer Rückkehr kämpfte er mit der Situation. Natürlich ging es ihr nicht anders; Mandys Krankheit, die Entscheidung, wo sie leben wollten, all die Formalitäten und kleinen Details, die der Umzug einer Familie an einen neuen Ort – und in eine andere Zeit – mit sich brachte; all das hatten sie gemeinsam bewerkstelligt. Doch es gab Dinge, mit denen er allein rang.
Sie war als Einzelkind groß geworden, genau wie er; sie wusste, wie das war; dass man viel Zeit im eigenen Kopf zubrachte. Aber verflixt, was auch immer da mit ihm in seinem Kopf wohnte, fraß ihn vor ihren Augen auf, und wenn er ihr nicht sagte, was es war, dann war es entweder etwas, was ihm zu persönlich war, um es mit ihr zu teilen – was sie zwar geärgert hätte, womit sie aber leben konnte -, oder es war etwas, was er für zu verstörend oder zu gefährlich hielt, und das kam absolut nicht in Frage.
Ihre Finger hatten sich um die Meeresschnecke gekrallt, und sie löste sie bewusst und versuchte sich zu beruhigen.
Sie konnte die Kinder oben hören, in Jems Zimmer. Er las Mandy etwas vor – »Der Lebkuchenmann«, dachte sie. Sie konnte die Worte nicht hören, erkannte es aber am Rhythmus, unterbrochen von Mandys aufgeregten »Wauf! Wauf!«-Rufen.
Es hatte wenig Sinn, sie zu unterbrechen. Sie hatte später noch genug Zeit, ihnen zu erzählen, dass Papa über Nacht wegbleiben würde. Vielleicht würde es ihnen gar nichts ausmachen, wenn sie es ihnen ganz sachlich sagte; er hatte sie zwar seit ihrer Rückkehr noch nie allein gelassen, aber als sie noch in Fraser’s Ridge lebten, war er oft mit Jamie oder Ian auf die Jagd gegangen. Mandy würde sich daran nicht erinnern, aber Jem …
Eigentlich hatte sie vorgehabt, in ihr eigenes Studierzimmer zu gehen, doch dann ertappte sie sich dabei, dass sie den Flur durchquerte und durch die offene Tür in Rogers Zimmer ging. Es war das alte »Unter vier Augen«-Zimmer des Hauses; das Zimmer, in dem ihr Onkel Ian jahrelang die Bücher des Anwesens geführt und mit den Pächtern verhandelt hatte – und vor ihm für kurze Zeit ihr Vater und vor ihm ihr Großvater.
Und jetzt war es Rogers Zimmer. Er hatte sie gefragt, ob sie es haben wollte, doch sie hatte nein gesagt. Sie mochte das kleine Wohnzimmer auf der anderen Flurseite mit seinem sonnigen Fenster und dem Schatten der alten gelben Rose, die diese Seite des Hauses mit ihrer Farbe und ihrem Duft verschönerte. Davon
jedoch abgesehen hatte sie einfach das Gefühl, dass dieser Raum mit seinem sauberen, abgewetzten Holzfußboden und seinen wohnlich abgenutzten Regalen ein Männerzimmer war.
Es war Roger gelungen, eines der alten Farmbücher zu finden, aus dem Jahr 1776; es lag ganz oben auf einem Regal, und ein abgegriffener Stoffeinband schützte die mit Geduld und Sorgfalt eingetragenen Kleinigkeiten des Lebens auf einer Farm in den Highlands: ein Silber-Viertelpfund für Saatgut, ein Ziegenbock für die Zucht, sechs Kaninchen, dreißig Beutel Saatkartoffeln … Hatte ihr Onkel das geschrieben? Sie wusste es nicht, denn sie hatte nie ein Schriftstück in seiner Handschrift gesehen.
Mit einem merkwürdigen kleinen Schauder fragte sie sich, ob ihre Eltern es wohl zurück nach Schottland geschafft hatten – hierher zurück. Ob sie Ian und Jenny wiedergesehen hatten; ob ihr
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