Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Solarenergie …«
»Diese Vorhänge funktionieren nicht. Sie sind scheiße«, sagt er. Diese Meinung hat er von fast allem, was er macht, und ich habe meine Ermahnungen, er solle sein Licht nicht immer so unter den Scheffel stellen, inzwischen aufgegeben. Ich betrachte das körnige Porträtfoto meines Bruders. Konzentriert und ernst hält er eine kleine Solarzelle hoch.
»Du siehst hier aus wie ein Mann, so erwachsen, Andrew.« Ich halte ihm die Zeitung hin.
»Ich bin erwachsen, ich bin ein Mann«, sagt er.
Das stimmt; er ist jetzt siebzehn, eins fünfundachtzig groß und hat Arme wie ein Boxer. Wenn er so weiterwächst, kann er Dad bald aufs Knie heben und Hoppe Reiter mit ihm machen.
Mein Bruder zerrt unter der Spüle ein langes Stück Nylonseil hervor und betrachtet die ausgefransten Enden. Er geht hinaus, ohne die Spülentür zu schließen, und schleift das Seil hinter sich her. Der Hund starrt auf den zuckenden, fransigen Schwanz, der um die Ecke biegt, verzichtet aber darauf, aufzuspringen und ihm nachzujagen.
In vielem ist mein Bruder eine aktualisierte Neuauflage meines Vaters. Zusammen haben die beiden das ganze Haus vermint. Überall stößt man auf irgendwelche zusammengebastelten Apparaturen, von Schnur oder Isolierband zusammengehalten, ausgestattet mit Zeitschaltern, Leuchtdioden und Signaltongebern. Abgesehen von den Vorhängen, die eindeutig Andrew zuzuordnen sind, bin ich nicht sicher, welches Projekt von wem ist, aber die beiden kollaborieren sowieso. Mein Vater hat auf seinem Nachttischchen eine Kaffeemaschine stehen, die sich einschaltet, sobald der Wecker klingelt. Das Problem ist nur, dass der Kaffeedurchlauf stoppt, sobald der Wecker ausgeschaltet wird. Jeden Morgen springt mein Vater aus dem Bett und läuft ins Bad, während sein Wecker unter einem Kissen schrillt und schrillt und schrillt und …
Unsere Türklingel spielt Weihnachtslieder, eine Schreckvorrichtung sichert die Mülltonne vor dem Hund sowie vor Waschbären, und aus dem Auto holt Dad Erstaunliches heraus. Mein Vater ist im siebten Himmel, wenn er endlich jemanden überzeugen konnte, dass ein Leben ohne technischen Schnickschnack kein Leben ist. Sogar meine Mutter hat sich erweichen lassen und Andrew erlaubt, ihre Wohnung ein bisschen aufzurüsten, fordert aber weiterhin den Ersatz der Türklingelmelodie durch etwas anderes als »Stille Nacht«.
Tagsüber arbeite ich für eine Optikerin, die mich »Sweetie« nennt und ihren Beruf ganz unverhohlen hasst. Abends komme ich nach Hause, trinke Bier und schreibe meine lächerlichen Gedichte. Gelegentlich schreibe ich auch Sinnhaltiges, aber die meisten meiner Gedichte handeln von Eidechsen, Affen und Atombomben, weshalb ich niemals berühmt werden kann. Anscheinend kann ich nicht über normale Dinge schreiben, sagen wir mal, über die Optikerin und ihre ausgefallenen Schuhe und die Heulattacken, die ich regelmäßig aus ihrer abgedunkelten kleinen Kammer höre. Sie glaubt, ich krieg’s nicht mit. Aber ich höre ja praktisch Spinnen über die Wand krabbeln und weiß jetzt alles über meine Chefin, über ihre Vorliebe für weißen Puder und ihre wenig harmonische Beziehung zum kanadischen Fiskus.
Während einer ihrer Heulattacken habe ich übrigens Nick kennengelernt. Wäre ich mehr nach meiner Mutter geschlagen, hätte ich allein das schon als schlechtes Zeichen gewertet. Halb im Laufschritt verließ ich mit Post unter dem Arm die Praxis und hoffte, meine Chefin hätte sich bei meiner Rückkehr ausgeheult. Ich kam an einem Handwerker vorbei, der die Marmorplatten vor der Aufzugtür ausbesserte. Er beugte sich vor, und so sah ich von ihm nichts als seinen langen Rücken und seinen Hintern. Als ich später von der anderen Seite zurückkam, lächelte ich ihn breit an, und er drehte sich auf den Fußballen, um mir nachzusehen.
Im Lauf der Woche begannen wir, uns Zeit für gegenseitige Besuche zu nehmen. Ich stellte mich zu ihm und ließ die Praxistür offen, damit ich schnell ans Telefon sprinten konnte, oder er setzte sich neben meiner Theke auf seine Werkzeugkiste und trank Kaffee. An seinem letzten Tag fragte ich ihn, ob er mit mir essen gehen wolle. Er sah aus wie vom Blitz getroffen und stammelte ein paar Belanglosigkeiten. Einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte mich getäuscht – er mochte mich nicht, er mochte keine Mädchen, er war schwul. Aber dann stotterte Nick, dass er sehr gern mit mir ausgehen würde, schob die Hände in die Hosentaschen, beugte sich vor und
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