Hilf mir, liebes Hausgespenst!
Ausdruck schien Amadeus zu gefallen. „Fleisch und Blut, o ja!“ rief er. „Haare und Knochen, ein Junge!“
„Aber das bist du heute nicht mehr. Du bist unsichtbar.“
„Doch sichtbar.“
„Ja, jetzt im Moment. Aber du kannst dich unsichtbar machen, und das kann ein gewöhnlicher Junge nicht... ja, ich weiß, daß du nie ein gewöhnlicher Junge warst, aber doch ein Junge aus Fleisch und Blut, und das bist du heute nicht mehr. Wie ist es gekommen, daß du dich verwandelt hast?“
„Du stellst so schwere Fragen.“
„Bitte, denk nach! Das ist doch ein einschneidendes Erlebnis für dich gewesen, daran mußt du dich doch erinnern.“
Amadeus erhob sich.
„Bitte, bleib!“ flehte Monika.
Dann merkte sie, daß er nichts weiter vorhatte als im Zimmer auf und ab zu gehen, was sehr sonderbar aussah, weil es eher ein Schweben war, bei dem er die Füße hin und her schwenkte.
„Hinter dem Haus“, sagte er endlich, „war ein Teich...“
„Der ist immer noch da!“
„Ein Teich. Auf dem Teich war ein Kahn. Aber wir durften nicht Kahn fahren. Mon Papa hatte es streng interdit... verboten. An einem Sonntag waren wir allein zu Hause. Mon père und Monsieur Lambert waren in der Kirche. Wir waren... ja, meine Schwestern und ich waren krank gewesen.“ Es schien Amadeus schwerzufallen sich zu erinnern.
„Ja?“ fragte Monika atemlos.
„Nur die Köchin war da, eine Magd, ein Knecht... aber die hatten alle zu tun. Wir schlüpften aus dem Haus und in den Kahn. Zuerst war es lustig. Aber dann begannen meine Schwestern zu schaukeln. Ich bekam Angst und schrie. Sie lachten mich aus und schaukelten schlimmer. Bis ich in den Teich hineinfiel.“
„Oh!“ sagte Monika voller Mitgefühl.
„Ich schluckte schrecklich viel Wasser und auch mein Anzug wurde ganz naß. Und danach... danach hat niemand mehr mit mir gesprochen.“
Monika begriff — oder glaubte zu begreifen —, daß Amadeus im Teich ertrunken war.
„Sie haben so getan, als würden sie mich nicht mal mehr sehen“, fuhr Amadeus fort, „aber ich habe sie gesehen. Sie sind an Land gerudert und ausgestiegen. Dann haben sie den Kahn in den Teich gestoßen und sind ins Haus gelaufen. Mein Vater hat geglaubt, daß ich allein ungezogen war. Aber diesmal hat er mich nicht geschlagen. Er hat mich auch nicht geschimpft. Er hat geweint, ja, das hat er. Weil ich so ungezogen war. Meine Schwestern haben auch geweint. Alle haben geweint. Aber sie haben nicht mehr den Tisch für mich gedeckt.“
„Was ist aus ihnen geworden?“ fragte Monika.
„Gestorben und verdorben“, sagte Amadeus mit dumpfer Stimme.
„Es ist eine sonderbare Geschichte“, sagte Monika verwirrt.
„Wenn du mir nicht glaubst...“
„Natürlich glaube ich dir! Warum solltest du mich denn beschwindeln?“
„Na, zum Beispiel...“ Amadeus verzog das Gesicht und sah auf einmal ganz spitzbübisch aus, „…um mich interessant zu machen.“
„Das hast du gar nicht nötig! Du bist interessant genug.“
„Was für ein reizendes Kompliment!“ Amadeus schwenkte elegant den Arm und machte einen kleinen Kratzfuß.
„Amadeus...“
„Nein, keine questions... keine Fragen mehr. Ich langweile mich, und es ist nicht gut, wenn ich mich langweile.“
„Darf ich dir etwas erzählen?“
„Wenn es nicht langweilig ist.“ Amadeus setzte sich auf den Sessel und schlug die weißbestrumpften Beine sehr lässig übereinander.
„Kommt darauf an, ob du dich für Pferde interessierst.“
„Was das betrifft... ich kann reiten!“
„Das ist ja wunderbar! Vielleicht können wir dann mal zusammen ausreiten!“
„Du hast ja gar kein Pferd.“
„Aber ich kriege eins. Was hast du denn gedacht, warum wir den Stall fertig machen und die Wiese einzäunen! Wir kriegen ein Pferd! Bodo, aus der Reitschule! Er gehört uns zwar nicht, er kommt nur zur Erholung, weil er hustet. Aber wir dürfen mit ihm reiten. Was sagst du dazu?“
„Sehr nett.“
„Das ist alles?“ fragte Monika enttäuscht.
Amadeus gähnte. „Pferde sind langweilig.“
„Natürlich ist ein Pferd nicht so interessant wie ein Gespenst...“, Monika verbesserte sich rasch, „... wie du, meine ich. Aber ich liebe Pferde! Sie sind so warm und so kräftig und so verläßlich“.
„Langweilig!“ wiederholte Amadeus und riß den Mund noch weiter auf.
„Du mußt mir versprechen, Bodo nicht zu ärgern!“ verlangte Monika; sie wurde von seinem Gähnen angesteckt und ließ sich rücklings in ihre Kissen sinken.
„Viel zu
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