Hill, Susan
legte, die zurück ins Wartezimmer führte, sagte er leise: »Misstrauen und Argwohn sind gefährliche Begleiter. Bleiben Sie unvoreingenommen und offenherzig, Karin, sonst machen Sie meine Heilung unwirksam.« Seine Stimme war unfreundlich und der Akzent fast vollständig verschwunden.
Karin fiel fast aus dem Behandlungszimmer.
Zwei Patienten warteten draußen.
»Bitte setzen Sie sich und trinken Sie ein Glas Wasser, Mrs McCafferty.«
»Nein, ich muss gehen, tut mir Leid …«
»Das ist wirklich wichtig. Sie müssen ihre Orientierung wiederfinden. Bitte.«
Zitternd setzte sie sich und trank Wasser aus dem Pappbecher; die Frau hatte Recht, sie brauchte es, sie war durstig und unsicher auf den Beinen. Der Summer für den nächsten Patienten ertönte.
»Soll ich jetzt bezahlen?«
»Ja, bitte. Lassen Sie sich Zeit, warten Sie, bis Sie sich wieder ganz ruhig fühlen.«
»Es geht mit gut. Danke.« Karin stand auf. Sie wurde nicht ohnmächtig. Der Raum drehte sich nicht. Sie ging hinüber zum Schreibtisch, und die lächelnde Frau reichte ihr eine kleine Karte. Mrs McCafferty. Für die Behandlung: £ 100. Bitte stellen Sie den Scheck auf SUDBURY & CO aus.
Karin kam an die frische Luft und rechnete im Kopf rasch nach. Sie war vielleicht zehn Minuten im Behandlungszimmer gewesen, mehr nicht. Wenn man für jeden Patienten eine halbe Stunde einschließlich Wartezeit einkalkulierte, und das von neun bis fünf – sechzehn Patienten pro Tag, abzüglich einer Stunde Mittagspause machte vierzehn Patienten, vierzehn mal £ 100 = £ 1400.
Wieder im Biocafé, setzte sie sich an einen Fenstertisch in die Sonne und schrieb bei Tee und Karottenkuchen, der schwer und köstlich war, die Seiten des Spiralhefts voll, das sie extra dafür gekauft hatte, während ihr der Besuch noch frisch in Erinnerung war – Gerüche, Anblicke, Geräusche, was er gesagt hatte, was sie gefühlt hatte.
Vom Auto aus rief sie Cat an.
»Dr. Deerborn musste zu einem Notfall. Kann ich ihr etwas ausrichten?«
Karin hinterließ ihren Namen und bat darum, dass Cat sie abends zurückrief.
Langsam fuhr sie nach Lafferton zurück, erfreute sich sogar noch mehr an dem Sonnenschein, fühlte sich erlöst und erleichtert und versuchte, das Erlebnis des heutigen Morgens zu vergessen. Sie hatte vorgehabt, den Nachmittag im Garten zu verbringen, um Platz für die Saatkartoffeln zu schaffen. Sie ging ins Haus, hob die Post hoch, die hinter der Tür lag, und setzte in der Küche den Kessel auf, bevor sie alte Jeans, Jacke und Stiefel anzog. Die Sonne schien auf die große Vase mit Narzissen auf dem Tisch, ließ sie aufflammen. Karin nahm den Teebecher und die Post mit hinüber zum Sofa. Fünf Minuten später war sie eingeschlafen. Sie bewegte sich nicht, träumte nicht und blieb, als sie zwei Stunden später aufwachte, still liegen, verspürte ein außerordentliches Gefühl von Frieden und Erfrischung. Die Sonne war durch das Zimmer gewandert und warf längliche Lichtblöcke auf die weiße Wand. Karin starrte sie an. Sie schienen Energie auszuströmen und eine Schönheit zu haben, die jenseits aller Erklärungen und Worte lag.
Sie dachte an den Morgen zurück – Starly, das seltsame Behandlungszimmer, der Mann mit dem gebeugten Rücken und dem lahmen Bein, sein merkwürdiger Akzent, seine brüsken Bemerkungen. Sie war nervös und misstrauisch gewesen, erleichtert, von dort wegzukommen. Doch jetzt, als sie hier lag und die weiße Wand betrachtete, fühlte sie sich kraftvoll und gesund, als ob sich etwas in ihr tatsächlich verändert hatte und ihr Geist erneuert worden wäre. Sie fragte sich, was sie Cat Deerborn jetzt erzählen konnte.
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E r wollte wissen, was vorging. Im Radio BEV und in der Lokalzeitung hatte es Berichte gegeben, die, wenn auch nur in kurzen Artikeln, von den überregionalen Zeitungen aufgegriffen worden waren. Überall wurde geredet. Die Leute machten sich Sorgen. Stellten Vermutungen an.
Es wäre zu gefährlich, jetzt mit dem Kleinbus zu fahren.
Den vergangenen Abend hatte er mit Debbie Parker verbracht. Er hatte den Obduktionsbericht geschrieben und ihn abgelegt, dann war sie wieder instand gesetzt worden, die Organe eingefügt, die Wunden vernäht. Er bildete sich gerne ein, dass er stets einwandfreie Arbeit leistete und dass er respektvoll war, immer respektvoll. Das hatten sie ihm beigebracht. Im Leichenschauhaus und an den Obduktionstischen wurden oft grobe Witze gemacht, besonders wenn die Polizei anwesend war; das war ihre
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