Hill, Susan
Beruf ausbilden zu lassen. Nach kurzem Zögern stellte mich die Sprechstundenhilfe durch.
»Ich würde Sie gern empfangen und hoffe, dass ich Ihnen weiterhelfen kann. Seit wann sind Sie daran interessiert?«
»Ich habe dreieinhalb Jahre Medizin studiert, habe aber eines der Examen nicht bestanden und bin fast sofort danach sehr krank geworden. Jetzt geht es mir wieder gut, es liegt schon einige Zeit zurück, aber inzwischen war ich unzufrieden damit geworden, wie man uns ausgebildet hat. Ich fing an, mich sehr für alternative Behandlungsweisen zu interessieren.« Ich merkte, dass ich leidenschaftlich an alles glaubte, was ich sagte, noch als die Worte aus meinem Mund kamen.
»Haben Sie mit anderen Therapeuten gesprochen?«
»Ich habe mich über Homöopathie informiert.«
»Und?«
»An Pharmazie war ich nie interessiert. Behandlungen mit chemischen und homöopathischen Mitteln kommen mir sehr ähnlich vor. Ich kann es nur schwer erklären, aber Homöopathie erscheint mir doch zu kopflastig.«
Mr John F. L. Shinner lachte leise. »Unsere Ausbildung ist sehr rigoros – fast wie die konventionelle medizinische Ausbildung. Aber ich würde diesen Wissenszweig nicht als zu kopflastig bezeichnen. Es geht um ganzheitliche Einschätzung, Behandlung und Pflege des Patienten. Sie haben mit Menschen zu tun, nicht nur mit bloßer Symptombehandlung.«
»An bloßer Symptombehandlung bin ich nicht interessiert.«
»Dann kommen Sie zu mir. Wenn ich Ihnen helfen kann, werde ich es tun.«
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Schließlich stand ich um halb drei auf und machte einen Spaziergang durch die engen, heruntergekommenen Straßen, wo die Fliederbüsche und Forsythien und einzeln stehenden Häuser der Spencer Avenue tausend Meilen weit weg zu sein schienen und doch mit solcher Sicherheit ein Teil meiner Zukunft waren, dass sie mir wirklicher vorkamen als die Straßen, durch die ich ging. Ich nahm nichts wahr, roch nur das ranzige Fett aus einer Fisch-und-Chips-Bude und den Dieselgestank von der nahen Durchgangsstraße. Ich verspürte eine absolute Sicherheit wegen allem, als sei ich zur Spencer Avenue geleitet worden und zu dem Messingschild von John F. L. Shinner, die mein Schicksal bestimmten. Es war seltsam, dieses Schicksalsgefühl. So etwas kannte ich nicht, aber ich erlaubte mir, mich zunächst einmal darauf einzulassen.
Ich weiß nicht, warum die Anziehung meines zukünftigen Berufes so stark war, so zwingend, denn ich wusste wenig davon, hatte keine Ahnung, wie lange die Ausbildung dauern, wie viel sie kosten, wohin sie mich führen würde. Doch die Ungewissheit über diese Dinge war nebensächlich, und mit der Zeit würde alles klarer werden. Ich hatte keine Zweifel, nicht die geringsten. Aber ich wusste, dass ich dir nichts davon sagen, mich nicht mit dir in Verbindung setzen würde, bevor ich alles erreicht hatte.
Ich habe nie irgendetwas bedauert oder zurückgeschaut, habe nie gezweifelt. Ich wusste, dass ich Recht hatte, und genauso war es.
Was die anderen Dinge betrifft – ich glaube, sie waren immer da, schlummerten knapp unter der Oberfläche. Ich würde einen Beruf ergreifen, der mich erfüllte und befriedigte, aber die alten Bedürfnisse waren nicht besiegt. Man hatte mich abgewürgt, bevor ich das tun konnte, was ich tun musste, tun wollte, und es würde andere Möglichkeiten geben, mein Ziel zu erreichen, aber das konnte warten. Letztlich musste es jahrelang warten, doch es spielte keine Rolle. Denn ich habe es ja erreicht, nicht wahr? Ich habe alles vollbracht.
John Shinner war sehr hilfreich. Wir hatten den Termin so gelegt, dass sein letzter Patient bereits gegangen und mein Arbeitstag zu Ende war. In freudiger Erregung ging ich durch die Avenue zu seinem Haus.
Er war ein kleiner, rundlicher Mann, zwar mit einem englisch klingenden Namen, aber zumindest teilweise orientalischer Abstammung.
»Unsere Disziplin hat ihren Ursprung in China«, sagte er. Shinner zeigte mir den Raum, in dem er praktizierte und den ich mir sofort als Vorbild nahm, denn er war so ordentlich, so steril, so sauber. Es gab keine überflüssige Dekoration, keine Bilder, nichts, was nicht direkt mit seiner Arbeit zu tun hatte. Die Wände waren cremefarben gestrichen, das Leder der Behandlungsliege und seines Bürostuhls war schwarz. Der Raum strahlte eine wunderbare Ruhe und Harmonie aus, die ich immer nachzuahmen versucht habe. Meine Patienten haben mir gesagt, sie seien sich dessen bewusst und es würde die Wirksamkeit
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