Hill, Susan
robust gewesen, im Gegensatz zu seinem vierzehnjährigen Bruder Joe, der kaum je einen Tag wegen Krankheit in der Schule gefehlt hatte. Jake war derjenige mit Bronchitis und ständigen Ohrinfektionen gewesen, derjenige, der Mumps und Windpocken bekam und einen Monat lang krank war, der im September die erste Erkältung hatte und bis Ende April damit nicht mehr aufhörte. In letzter Zeit hatte er über Müdigkeit geklagt und war blasser als sonst. Seine Halsschmerzen waren zurückgekehrt, und er hatte sogar ein paar Gerstenkörner, was Kinder heutzutage einfach nicht mehr bekamen.
Jenny Spurrier war gegen jede Form von Antibiotika, obwohl sie gelegentlich nachgab, wenn sonst nichts gegen Jakes Ohrenschmerzen half, und ginge sie mit ihm zu Dr. Deerborn, würde es nur den üblichen Kampf darum geben. Nicht dass diese Praxis so schlimm war wie die andere, in der sich die gesamte Familie bis vor fünf Jahren hatte behandeln lassen. Dort wurden Antibiotika wie Bonbons verteilt, als Allheilmittel für jeden Schnupfen und jedes Kopfweh; man brauchte dazu nur die Sprechstundenhilfe anzurufen und bekam das Rezept, ohne den Arzt aufsuchen zu müssen. In Dr. Deerborns Praxis war das besser, keine Frage. Sie war sogar diejenige gewesen, die Jenny vorschlug, es wegen ihrer ständigen Magenschmerzen mit Akupunktur zu versuchen, nachdem alle Untersuchungen negative Ergebnisse erbracht hatten.
»Ich schicke Patienten nicht so mir nichts, dir nichts zu irgendwelchen alternativen Heilkundlern«, hatte Dr. Deerborn gesagt, »aber vor Aidan Sharpe habe ich großen Respekt. Er ist absolut qualifiziert, er redet Ihnen keinen Schwachsinn ein, und bei gewissen Beschwerden hilft die Akupunktur sehr gut. Zum Beispiel bei chronischen Schmerzen ist sie außerordentlich wirksam. Eine meiner Patientinnen mit starker Osteoporose und Arthritis hat große Erleichterung durch regelmäßige Behandlungen bei Mr Sharpe verspürt. Keine Wunderheilung, verstehen Sie … es gibt keine Heilung für Knochenabbau, aber es war offensichtlich, dass Schmerzen und Steifheit nachgelassen haben. Leider kann ich Ihnen keine Überweisung geben, aber falls Sie eine private Zusatzversicherung haben, ist die Behandlung meist gedeckt, wenn ich eine Empfehlung schreibe.«
Jenny war nur zweimal bei Aidan Sharpe gewesen, dann waren ihre Magenschmerzen verschwunden. Sie konnte wieder normal essen, wobei ihr der Akupunkteur geraten hatte, stark gewürzte Speisen und Weißwein zu meiden. Das war vor zwei Jahren gewesen, und auch Jake Spurrier war durch Akupunktur von seinen Halsschmerzen befreit worden und hatte mehr Energie und Durchhaltevermögen bekommen. Eine ganze Saison lang hatte er in der Schulmannschaft Fußball gespielt und nur ein Spiel wegen Erkältung verpasst; so gesund war er noch nie gewesen. Doch im letzten Monat war er wieder schlapper geworden, hatte keinen Appetit, und sein Trainer hatte ihn auf die Ersatzbank gesetzt.
»Du weißt, wie viel besser es dir nach Mr Sharpes Behandlung gegangen ist, Jake, und du möchtest doch wieder in die Mannschaft aufgenommen werden, oder?«
Jake hatte gegrummelt, aber seine Mutter wusste, wie sie ihn kriegen konnte … Er war leidenschaftlicher Fußballspieler und hatte im vergangenen Jahr so viele Tore geschossen, dass seine Mannschaft es bis zum Halbfinale der Jugendmeisterschaft des Countys geschafft hatte, bevor sie geschlagen wurde. Zu Weihnachten hatte er sogar durch einen Arbeitskollegen seines Vaters, der einen Bekannten in Manchester hatte, ein Trikot mit »Beckham 7« und einem Autogramm seines Helden bekommen.
»Okay, okay.« Jake war mit den Schnürsenkeln fertig, kam hoch und fiel auf Jenny zu.
»Jake, was ist? Ist schon gut … Setz dich hier hin. Beug dich vor und leg den Kopf auf die Knie.«
»Alles war plötzlich ganz wackelig … der Boden war nicht mehr da.«
»Dir ist schwindlig geworden. Das passiert manchmal, wenn man zu schnell aufsteht. Bleib sitzen, ich hol dir ein Glas Wasser. Wir fahren nicht, bevor es dir wieder besser geht, keine Bange.«
Zehn Minuten später setzte sie den protestierenden Jake auf den Vordersitz des Autos.
»Ich kann mich selber anschnallen, es geht mir gut, Mum, lass mich …«
»Entschuldige.«
Aber er war zu bleich, dachte Jenny, viel zu bleich. Je schneller er in Behandlung kam, desto besser.
Als sie sechs war, hatte man ihr drei Zähne gezogen. Vorher hatten ihr Schulfreunde Horrorgeschichten über die Schmerzen erzählt, das Blut und die grauenhaften
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